Fehlstart einer gelungenen Startkommunikation?
Nun ist sie eine gute Woche im Amt, die neue Bundesregierung . Die Regierungsbildung war rekordverdächtig: Koalitionsverhandlungen im Akkord, rasche Zustimmung in den Parteien und schließlich eine fast reibungslose Wahl der Kanzlerin. Zeit, ein erstes Fazit zu ziehen:
Die schwarzgelbe Koalition spürte strammen Gegenwind: Bei der Wahl der Bundeskanzlerin fehlten 9 von 332 Stimmen. Knapp 3% der Koalitionsabgeordneten versagten ihre Zustimmung, was verglichen mit ihren Vorgängern kein schlechtes Ergebnis ist. Dennoch konstatieren die Leitmedien „Merkels Makel-Start„, eine geschwächte Kanzlerin oder auch nur eine Schlappe für die neue Koalition. Wieso das? Vor Kurzem galt diese Koaliton doch noch als Hoffnungsträger vieler Journalisten.
Die Stimmung war in den Tagen zuvor gekippt . Immer lauter beschwerten sich die Journalisten in Berlin darüber, dass sie Teil einer (gelungenen?) Inszenierung von CDU/CSU und FDP wurden. Am Anfang dieser Inszenierung betonten die drei Koalitionspartner, dies sei eine Wunschkoalition, die nun ganz schnell vereinbart werden könnte. Diese lauten Bekenntnisse zur Koalition übertönten alle kritischen Rückfragen über die vorhandenen Gegensätze zwischen den Verhandlungspartnern. Der zweite Schritt war dann eine geschickte Kommunikationsstrecke nach einander gesetzter Positivbotschaften. Dabei wurden gezielt die Themen nach vorne gestellt, die sich in den vergangenen Monaten als Mühlsteine am Hals der SPD erwiesen hatten.
So betrifft die Erhöhung des Schonvermögens zwar nur 0,5% der Hartz IV Empfänger. Doch dieser Schritt der Koalition sendete ein klares Signal aus: Lebensleistungen der Menschen werden wieder geachtet und anerkannt. Rotgrün hatte noch wie mit dem Rasenmäher alle Betroffenen gleichbehandelt und dabei übersehen, dass sich im eigenen Klientel das Gefühl aufbaute, individuelle Biografien würden nicht mehr geachtet. Millionenfache Stimmenthaltung war das Ergebnis.
Danach nahm sich Schwarzgelb die Internetgesetzgebung vor. Die noch von der CDU/CSU vorangetriebene Internetzensur mittels Stop-Schild wurde mal eben über Bord geworfen und ein neuer Umgang mit dem Thema Datenschutz, Sicherheit und Internetrechte versprochen – fast so als wäre da die Piratenpartei stiller Teilhaber der Regierungskoalition. Dabei waren die Piratenpartei gerade erst wie Phönix aus der Asche entstanden: Insgesamt 2% bei der Bundestagswahl, ganze 13% der Erstwähler – zu Lasten der SPD.
Am Ende der Koalitionsverhandlungen wurde dann aber doch noch eine Woche laut gestritten. Die Koalitionspartner mussten gegensätzliche Versprechen zu Schuldenabbau und Steuersenkungen unter einen Hut bringen. Doch viele Journalisten hatten den Eindruck, die Koalition habe sich längst geeinigt und der Streit sei nur noch für das Publikum. Jede Seite müsse zeigen, dass sie hart für die eigenen Klientel gerungen habe. Spätestens hier vermuteten viele Journalisten, sie seien Teil einer Kommunikation der kommenden Regierung.
Der gefundene Konflikt spricht dafür, denn beide Seiten mussten Fehler lassen: Die Neuverschuldung steigt, die versprochenen 40 Mrd. Steuergeschenke werden auch nur zur Hälfte realisiert.
Zweifelsohne – für Journalisten waren das langweilige und zudem noch oppositionslose Wochen. Die Opposition ist offenbar mehr mit sich selbst als mit Kritik an der neuen Bundesregierung beschäftigt: Die Grünen streiten, ob Jamaika und Schwarzgrün nur Notnägel oder weitere Machtoptionen sind. Die Linkspartei zerreibt sich zwischen den Länderorganisationen, die von anpassungsfähiger Realpolitik bis Fundamentalopposition alles für möglich halten. Und die SPD steht mitten in einem tiefgreifenden personellen und inhaltlichen Umbruch. Da kann es nicht wundern, wenn die neue Regierung in den kommenden Wochen und Monaten wenig Gegenwind bekommen wird.
Spannend kann es erst nach der NRW-Wahl werden: Denn dann muss die Bundesregierung Klartext reden, was aus Haushaltskonsolidierung und aus der Steuerreform wird. Bis dahin muss die Opposition ihre Handlungsfähigkeit wieder hergestellt haben.
Wenn Wahlforscher mittels Wahl forschen
Gut, dass am Sonntag Landtagswahlen im Saarland, in Sachsen und Thüringen sind. Der Reality-Check vier Wochen vor der Bundestagswahl. Nur wessen Realität kommt auf den Prüfstand?
Die Parteien, ob ihre Hoffnungen aufgehen und ihre taktischen Überlegungen fruchten? Die Wählerinnen und Wähler, ob sie an der Wahlurne auch wirklich so entscheiden, wie sie das zuvor in den Befragungen der Institute angegeben haben? Oder doch die Meinungsforschungsinstitute selbst, die prüfen müssen, ob ihre Korrektur- und Gewichtungsfaktoren wirklich zum Ergebnis führen?
Wir erinnern uns: Vor vier Jahren lag kein Institut richtig. Vor sieben Jahren feierte sich Stoiber schon als Wahlsieger, bevor klar wurde, Schröder bleibt Kanzler. Und bei der Europawahl im Juni wähnte sich die SPD auf einem aufsteigenden Ast, bevor sie auf den Boden der Niederlage zurück geholt wurde.
Wahlforscher messen Stimmungen und taktische Erwägungen. Jeder befragte Wähler überlegt immer auch, was seine Antwort auslösen könnte, weil er ja zum Umfrageergebnis beiträgt. Unentschlossene und potenzielle Nichtwähler lassen sich mit ihren potenziellen Wahlpräferenzen gar nicht erst erfassen – was angesichts der zumeist höheren Mobilisierung des bürgerlichen Lagers eine wahlentscheidende Ungenauigkeit sein kann. Darum haben Wahlforscher ihre Korrekturfaktoren („bei der Sonntagsfrage kommen längerfristige Trends und Präferenzen zum Tragen“). Aber stimmen die? Evelyn Roll nennt die Wähler in der Printausgabe der SZ heute daher auch treffend „Die Unberechenbaren“.
Am kommenden Sonntag lässt sich das vier Wochen vor der Wahl quasi am lebenden Objekt erforschen.
Ob das die Trefferquote am Wahlabend erhöht? Falls nicht, werden die Wahlforscher sich zumindest in Erklärungen überbieten, wieso der Wähler wieder so unberechenbar war.