Strategieblog

Ein Déjà-vu oder was die Regierung Merkel gerade falsch macht

Das Déjà-vu 2015

Dieser Tage fühlt man sich erneut an die Jahre 2015 und 2016 erinnert. Eine menschliche Tragödie in Europa rüttelt die Menschen auf dem ganzen Kontinent auf. Angela Merkel erkennt diese Tragödie, versteht die Betroffenheit “ihrer“ Bürger und mobilisiert diese Emotionen, um die Krise zu lösen – nicht in Trippelschritten, sondern mit einem tiefgreifenden Akt konsequenter Politik. Sie unterwirft das politische Berlin, die Administration, die Regierung und das Parlament ihrer Logik und ihrer Krisenlösung. Und sie tut das Richtige. 2015 nach menschlichem Ermessen und ethischen Standards, 2020 nach wissenschaftlichem Kenntnisstand. Damit verhindert sie eine noch viel umfassendere Krise, Hunderttausende Flüchtlingstragödien in 2015 und weitere zigtausend Corona-Tote in Deutschland.

Doch leider geht das Déjà-vu weiter: Es wiederholen sich auch die Unzulänglichkeiten der Bundeskanzlerin und der im wachsenden politischen Streit liegenden Führungspersonen um sie herum. Sie versteht es nicht, die Menschen im Land auf Dauer mitzunehmen. Sie verliert den einmal hergestellten Kontakt, sie agiert als gute Verwalterin, aber als schlechte Kommunikatorin. Was 2016 in eine Krise der Union mündete und zum Aufstieg der AfD führte, ruft 2020 eine bislang unbekannte Bewegung (Widerstand 2020) hervor, die in kürzester Zeit über 100.000 Unterstützer gefunden hat und deren nachhaltige Überlebensfähigkeit momentan niemand einschätzen kann Insgesamt ist die Polarisierung, die Verbreitung von Verschwörungstheorien, aber auch die Reichweite rechtspopulistischer Messages wieder auf einem sehr hohen Niveau angekommen. Die Zustimmungswerte für die Regierung beginnen zu stagnieren bzw. leicht abzunehmen.

Die kommunikative Realität „da draußen“

Auch die kommunikative Lage ähnelt der in 2015. Während es in der breiten Öffentlichkeit hohe Zustimmungswerte für die Politik der Kanzlerin gibt, sind es die Echoräume der Sozialen Medien, in denen die Politik der Regierung in Frage gestellt wird und ‚alternative Fakten‘ verbreitet werden. Die vorhandene Unsicherheit über die hochdynamische Entwicklung und der Frust über die eigene Lebenslage der Menschen werden gezielt ausgenutzt. Damit erzielen die Angstmacher Involvements und Resonanzen, über die die klassischen Medien froh wären. Diese wiederum steigerten sich zu Beginn der Krise in eine quasi vorbehaltlose Zustimmung der politischen Maßnahmen, in der kritische Stimmen rar waren. Später dann schwenkten viele Medien unter dem Eindruck der Stimmungsmache in den Sozialen Medien, einzelner Politiker und auch des eigenen ökonomischen Drucks um.

2015 hatte die damalige Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles frühzeitig gewarnt, man brauche einen realistischen Kurs. Damals war die Kernaussage der Kanzlerin „Wir schaffen das“. Nahles fragte: „Ja aber wie schaffen wir es, ohne die Menschen in Deutschland zu überfordern?“ Auch 2020 stellt sich angesichts einer tiefgreifenden Gesundheits- und Wirtschaftskrise, dramatischer Zahlen am Arbeitsmarkt und drohender weiterer Insolvenzen die Frage, wie die Menschen in diesem Land für die politischen Entscheidungen mitgenommen werden können. Die Antwort darauf muss weit über die aktuelle Situation und die Mai-Wochen hinaus reichen. Die Antwort wird vor dem Hintergrund zunehmender Kampagnen von Gegner dieses gesundheitspolitischen Kurses (wie Widerstand 2020 oder dem Verband der Familienunternehmer) immer drängender. Denn die Gegner des Regierungskurses haben ein einfaches Spiel, ihre Antworten sind einfach und verzichten auf ethische Abwägungen. Damit sind ihre Botschaften leichter zu transportieren, als die eines komplexen Regierungshandelns.

Was wir jetzt brauchen

Ministerpräsidenten und Bundesregierung kommunizieren gegenwärtig vollständig im Modus der starken Exekutive. Sie entscheiden nach rational vernünftigen Erwägungen und verkünden ihre Entscheidungen. Leider werden diese Entscheidungen von ihren Zuhörern als gar nicht so vernünftig wahrgenommen, denn die erforderlichen Abwägungen und die notwendige Dämpfung des öffentlichen Lebens führen immer zu Entscheidungen, die willkürlich erscheinen: Wieso sind 750 qm Ladenfläche noch in Ordnung, aber 850 qm nicht mehr? Wieso bleiben überfüllte Wochenmärkte offen, während Einkaufszentren nicht öffnen dürfen? Wieso wird Friseuren die Wiedereröffnung erlaubt und dem Beauty-Salon nicht? Wieso darf der Spielplatz öffnen, nicht aber das Fitnessstudio? Wieso wird Urlaub an der Ostseeküste genauso untersagt wie die Kreuzfahrt auf beengtem Raum? Es gibt in diesem Dickicht der Entscheidungen keine richtigen, keine gerechten, keine in jeder Dimension sinnvollen Entscheidungen. Es ist ein Abwägen und am Ende ein Durchregieren. Das aber erscheint demjenigen, der diese Abwägungsprozesse nicht nachvollziehen kann und muss, sich nur mit den Entscheidungen auseinandersetzt immer willkürlich. Der Umstand, dass die Ministerpräsidenten dabei ganz unterschiedliche Voraussetzungen im Infektionsgeschehen und in ihrer Wirtschaft und sozialen Infrastruktur vorfinden und daher auch zu unterschiedlichen Entscheidungen kommen, wird dabei nicht als rational, sondern als willkürlich oder persönlich motiviert wahrgenommen. Dieses Gefühl der Willkür ist aber der Nährboden für Zweifel, die gezielt aus politisch interessierten Kreisen der Rechtspopulisten oder der Familienunternehmer gestreut werden.

Die Kommunikation in dieser Krise muss daher einer komplett anderen Logik folgen, einer Logik, die auch mehr und mehr die politischen Entscheidungen selbst dominieren muss. Denn sowohl für die Kommunikation, als auch den Erfolg der Lockerung des Lockdowns ist eine Frage entscheidend: „Wie schaffen wir es, die Menschen mitzunehmen und für ein sozial und gesundheitlich verantwortliches Verhalten zu sensibilisieren?“ Es geht dabei um eine langfristig angelegte Akzeptanzkommunikation, die jenseits des Krisenmodus eine notwendige Strategie verfolgt.

Da kann der Blick zurück in die Geschichte helfen: Die wohl gefährlichste und tödlichste moderne Infektionskrankheit AIDS kam in den 80er Jahren zuerst in den Großstädten der westlichen Welt auf. Sie grassierte als „Schwulenseuche“ und schon bald wurde klar, dass sie beim Sex übertragen wurde. Lange bevor man AIDS (und HIV) detailliert verstanden hatte und lange bevor wirksame Medikamente zur Verfügung standen, musste diese Infektion gestoppt werden. Auch hier gab es in einigen Ländern zunächst den Versuch, mit restriktiven Mitteln dagegen vorzugehen. Das Ergebnis war unmissverständlich: Zwar konnten einige Infektions-Hotspots geschlossen und damit Infektionsgeschehen verlangsamt werden. Ideen HIV-Positive zu isolieren oder zu kennzeichnen, waren aber nirgends durchsetzbar, so scheiterte der restriktive Weg schnell. Es war die Politik der Aufklärung, die auf Verhaltensänderungen zielte, die einen tiefgreifenden Erfolg erzielen konnte und die dynamische Entwicklung dieser Krankheit eindämmen half, bis wirksame Medikamente auf den Markt kamen. Eine solche Verhaltensänderung ist eine Kombination aus grundsätzlichem Selbstverständnis („verhalte dich so, als sei Dein Gegenüber HIV-positiv“), mit einfachen Verhaltensweisen („Safer Sex“ oder im Umgang mit offenen Wunden) und technisch einfachen Hilfsmitteln (Kondome).

Angesichts der Tatsache, dass Covid-19 nicht schnell verschwinden wird, weitere Pandemie-Wellen jederzeit möglich sind und erst ein Impfstoff und eine massenweise Impfbereitschaft diesen Virus eindämmen werden, muss man davon ausgehen, dass wir in Deutschland sicherlich bis 2022 mit Covid-19 zu tun haben werden. Hinzu kommt die Gefahr, dass sich Pandemien in einer globalisierten Welt regelmäßig wiederholen werden. Es bleiben also die Fragen: Welche Verhaltensweisen von Safer Work, Safer Travel und Safer Events, können wir uns aneignen, um dauerhaft mit diesem oder jedem vergleichbaren Virus zu leben? Welche Hygienemaßnahmen brauchen wir, wie muss unser auf Krisen vorbereitetes Gesundheitssystem aussehen?

Eine Regierung, die auf Verhaltensänderungen zielt und konsequent in diesem Sinne kommuniziert, appelliert an den Einzelnen und fordert jeden auf, Teil des Kampfes gegen diese Pandemie zu werden. Sie schafft es, dass Menschen sich zunehmend freiwillig dem gewünschten Verhalten anschließen, kann auch Zuwiderhandlungen klarer sanktionieren und zugleich Akzeptanz erhalten. Damit spielt sie den Ball an Nörgler und Kritiker aus der Wirtschaft zurück. Wer nicht sicherstellen kann, dass seine Verkaufsfläche immer ausreichend Abstand zwischen den Menschen bietet, wer kein Management der Warteschlangen betreibt, wer sich weigert, wartende Kunden auch wegzuschicken, wer keine Hygiene im Betrieb sicherstellt und den nötigen Abstand zwischen den Mitarbeitern sicherstellen kann, der wird sanktioniert und dessen Betrieb wird für längere Zeit geschlossen. Wer hingegen ein verantwortliches Verhalten möglich macht, es bewusst fördert, der muss sich nicht fragen lassen, ob er 300 oder 900 qm Fläche bewirtschaftet. Wer eine Messegesellschaft es garantiert, dass nie zu viele Besucher auf dem Gelände, die Abstände eingehalten und Hygienemaßnahmen und Belüftung permanent betrieben werden, kann auch ohne Probleme eine Fachmesse durchführen.

Vor allem aber bedeutet eine am Verhalten ausgerichtete Kommunikation für die Regierung auch eine langfristig durchhaltbare Kommunikationslinie. Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse lassen sich einbauen. Die Menschen können neue Verhaltensweisen im Alltag trainieren. Die vielbeschworene zweite Corona-Welle, aber auch „bloße“ Grippewellen können jeweils durch eine Intensivierung der Verhaltensregeln begleitet werden – so könnte Mundnasenschutz in Grippezeiten „normal“ werden. Dazu gehört auch der Hinweis, sich bei Krankheitsgefühlen nicht in die Öffentlichkeit zu begeben, sondern lieber zuhause zu bleiben und das dringendste aus dem Homeoffice zu erledigen.

Noch heute erinnern sich viele an die Bundesgesundheitsministerin Rita Süßmuth, weil sie damals gegen erhebliche Widerstände die verhaltensorientierte Kommunikation innerhalb der Bundesregierung durchgesetzt hat.

Es ist Zeit für mehr Süßmuth in dieser Regierung.

Volkswagen: „Große Teile der Konzernzukunft von Volkswagen werden auf Stakeholderebene entschieden“ – Teil II

Wolfgang Griepentrog befragt Peter Szyszka zu dessen „PR-Journal“-Beitrag vom 22. Oktober

In seinem Beitrag „Volkswagen nach dem Vertrauenseinbruch: Beziehungskapital muss neu aufgebaut werden“ vom 22. Oktober im „PR-Journal“ hat Professor Peter Szyszka unter anderem gefordert, Volkswagen müsse eine Antwort darauf geben, was der künftige USP des Konzerns rund um sein Zukunftsthema Massenmobilität sein könnte. Außerdem hat er diagnostiziert, für Volkswagen gehe es darum, Beziehungskapital wieder aufzubauen und zu befestigen. Das hat Diskussionen über den künftigen kommunikationspolitischen Weg von Volkswagen aufgeworfen. Am 3. November beantwortete Szyszka die ersten beiden von fünf Fragen, die „PR-Journal“-Autor Wolfgang Griepentrog an den Hannoveraner Professor gerichtet hat. Heute folgt der zweite Teil der Antworten.

Wolfgang Griepentrog: Der Automobilkunde kauft bei VW oder bei einer anderen Marke des Konzerns; der Konzern und seine Problem sind dem Kunden erfahrungsgemäß egal. Das Leistungsversprechen wird primär am Produkt festgemacht, weniger an der Einhaltung konzernweiter Prinzipien. Ethische und ökologische Aspekte sind Kunden zwar wichtig, aber nicht unbedingt kaufentscheidend. Warum also soll sich der Konzern um seinen „USP“ kümmern? Muss nicht primär die Produktmarke VW neu erfunden werden? Und wie würden Sie überhaupt das Verhältnis zwischen der Konzernmarke „Volkswagen“ und der Produktmarke „Volkswagen“ sowie den anderen Töchtern beschreiben?

Peter Szyszka: Das sind gleich mehrere Fragen auf einmal. Zunächst muss, wenn es um den Konzern geht, zunächst das Prinzip Verantwortung gelten. Markenübergreifenden Themen wie Baugruppen oder eben Motoren sind Teile der Konzernverantwortung. Der Konzern macht Vorgaben, die Ingenieure einzelner Marken entwickeln, aber nicht für eine Marke, sondern entlang der Konzernvorgaben. Hier braucht es eine von außen klare Verantwortungsstruktur. Zweitens geht es um die Zukunft des klassischen Verbrennungsmotors. Wie kaum ein anderer Konzern – ausgenommen Ford – kann Volkswagen damit prahlen, ein entscheidender Wegbereiter moderner Massenmobilität gewesen zu sein. Hierfür stehen Käfer und Golf. Von hieraus sind die zentralen, plattformgebundenen Marken VW, Audi, Skoda und Seat zu interpretieren, die – jede auf ihre Weise – Teile des Massenmarktes bedienen. Die Zukunft des Verbrennungsmotors kann nur verbrauchsarm, umweltschonend und leistungsfähig und zwar in dieser Reihenfolge. Nur so können Massenautos auf Dauer aus ökonomischer wie ökologischer Perspektive für Kunden attraktiv sein. Unter diesem Dach diversifizieren die Marken. Die Produktmarke „Volkswagen. Das Auto“ muss nicht neu erfunden werden. Nur muss klar sein, wofür sie steht: für die Marke Volkswagen mit ihrer Tradition und dem mobilitätsbezogenen Leistungsversprechen.

Wolfgang Griepentrog: Wie können Automarken im deutschen Auto-Markt eigentlich den Spagat zwischen Spaß am Fahren, Markenillusionen, Wirtschaftlichkeit und Umweltfreundlichkeit schaffen und gegenüber den Kunden auch glaubwürdig vermitteln? Und wie kann ein international aufgestellter Konzern diesen Spagat auch in Regionen schaffen, in denen andere Kaufmotive gelten? Was ist hier am meisten gefragt: Kluge Markenstrategien, spezielle Unternehmensprinzipien oder ein Management, das alle möglichen Konflikte im Blick hat?

Peter Szyszka: Ich glaube, man sollte fragen, wie sie dies in der Vergangenheit gemacht haben, warum dies so war, und weiter, wie erfolgversprechend dieser Weg in Zukunft sein kann. Wenn man die mittlerweile sieben Golf-Generationen nebeneinander stellt, kann man sehen, wie dieses Auto immer größer, immer aufwendiger und immer teurer geworden ist. Dafür kamen von ‚unten‘ kleinere Baureihen nach, die dann auch wieder gewachsen sind. Für den Konzern ist dies attraktiv, weil mit steigenden PS-Zahlen und zunehmend verkauften Zusatznutzen auch Erträge und Gewinne steigen. Dass es so sein muss, wird dann von Marketingstrategen suggeriert. Dies gilt meines Erachtens für die gesamte deutsche Autobranche und ist eine Spirale, die sich nicht ins Unendliche weiterdrehen lässt. Im Gegenteil: Das Größenwachstum von Autos scheint mir in jeder Hinsicht begrenzt und lässt sich in absehbarer Zeit auch nicht mehr mit ausgetüfftelten Finanzierungsmodellen auffangen. Den Mut, hier den Hebel umzuwerfen und mit einfacheren, kostengünstigeren Autos in eine andere Richtung zu gehen, in der aus dem Spagat zwischen Spaß am Fahren, Markenillusionen, Wirtschaftlichkeit und Umweltfreundlichkeit ein Konglomerat wird, könnte eine Lösung sein. Dies mag im Moment wie eine Illusion klingen, aber die Frage, mit welcher Art von Autos Volkswagen in der mobilen Welt von morgen, z.B. am eigenen 100. Geburtstag erfolgreich sein kann, lässt in meinen Augen nur eine Antwort zu: so wie zuletzt jedenfalls nicht. Kernkompetenz und Markenkern ist die Mobilität. Sie müsste wieder im Zentrum stehen. Natürlich ist mir klar, dass es ein schwieriger Prozess wäre, denn die Modellpaletten sind da, der Konzern muss weiterleben und die Entwicklung neuer Modelle und Baureihen braucht seine Zeit. Deswegen könnte sich Veränderung vermutlich nicht radikal, sondern nur sukzessive vollziehen.

Wolfgang Griepentrog: Unternehmen, die eine Spitzenposition erklommen haben, sind besonders gefährdet und verwundbar. Schon weil es viel schwerer ist, an der Spitze zu bleiben und weiter zu wachsen als sich von geringerem Niveau aus zu entwickeln. Reputationsschäden sind deswegen besonders gravierend und für das Unternehmen schmerzhaft. Verantwortungsbewusstes Management sollte also darauf ausgerichtet sein, den Konzern mit seinen Marken nicht nur erfolgreich, sondern auch widerstandsfähig („resilient“) zu machen. Wie könnte eine „resiliente“ Unternehmens- und Markenführung bei Volkswagen aussehen?

Peter Szyszka: Sind Größe und Spitzenposition in einer ‚Weltrangliste‘ der Automobilverkäufe und Unternehmenserträge tatsächlich brauchbare Indikatoren für Erfolg, Resilienz und Zukunftsfähigkeit? Und war es nicht eine Gier, Toyota als Spitzenreiter ablösen zu wollen? Ist es daher nicht eine Ironie des Schicksals, dass die Krise genau zu dem Zeitpunkt ausbricht, als dieser Punkt erreicht wurde? Aber vielleicht kommt diese Krise genau zum richtigen Zeitpunkt, um einen Prozess einzuleiten, der gerade beim Volkswagenkonzern schwieriger einzuleiten gewesen wäre. Ich meine Industrie 4.0. Diese wird die Struktur des Volkswagenkonzerns und seiner Markentöchter gravierend verändern. Wie viele Menschen werden in 10, 15 Jahren bei VW in Wolfsburg arbeiten? Zwei Drittel, die Hälfte? Dabei wird es – zumindest aus heutiger Perspektive – weiter um den Bau von Autos gehen. Der Konzern muss sich allerdings entscheiden, welche Art von Autos diese Zukunft sichern soll und wie diese als imagemäßig diversifizierte Marken geführt werden könnten. Jene Marken, die nichts anderes sind als soziale Konstrukte, die ein Absender zwar beliebig stilisieren kann, diese aber erst durch Markenakzeptanz in Markt und Öffentlichkeit Wirkungen erzielen. Dies setzt voraus, dass der Konzern die Befindlichkeit von Markt und Marktumfeldern, den Resonanzräumen von Markenimages und deren kritische Akzeptanzfaktoren, bestens kennt. Hier muss meines Erachtens künftige Markenpolitik und -führung ansetzen.

Wolfgang Griepentrog: Vielen Dank, Herr Szyszka, für die ausführlichen Antworten.

Peter Szyszka: Gerne! Gestatten Sie mir aber bitte noch eine Schlussbemerkung. – Kurt Lotz, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG von 1968 bis 1971, hat in seinen „Lebenserinnerungen“ 1978 geschrieben, „dass die Öffentlichkeitsarbeit bei VW unter dem Aspekt planerischer Aktionen zu meiner Zeit nicht den Ansprüchen genügte, muss ich nachträglich gestehen.“ Er fügte hinzu, dass für ein Unternehmen schon damals „Öffentlichkeitsarbeit zu einem entscheidenden Faktor neben Forschung, Produktion und Absatz“ werden müsse und zwar nicht im Sinne von Produktwerbung, sondern von managementbezogener integrierter Kommunikation. Ein bis heute offensichtlich ungelöstes Volkswagen-Problem, das heute schlicht „Stakeholder-Management“ heißen müsste. Hier den Hebel umzuwerfen, führt zum VW-Kulturproblem zurück.

Interview im PR Journal

Volkswagen: „Große Teile der Konzernzukunft werden auf Stakeholderebene entschieden“

Gastbeitrag: Wolfgang Griepentrog befragt Peter Szyszka zu dessen „PR-Journal“-Beitrag vom 22. Oktober

In seinem Beitrag „Volkswagen nach dem Vertrauenseinbruch: Beziehungskapital muss neu aufgebaut werden“ im „PR-Journal“ hat Professor Peter Szyszka unter anderem gefordert, Volkswagen müsse eine Antwort darauf geben, was der künftige USP des Konzerns rund um sein Zukunftsthema Massenmobilität sein könnte. Außerdem hat er diagnostiziert, für Volkswagen gehe es darum, Beziehungskapital wieder aufzubauen und zu befestigen. Das hat Diskussionen über den künftigen kommunikationspolitischen Weg von Volkswagen aufgeworfen.

Wolfgang Griepentrog: Ihren Beitrag beginnen Sie mit der provokanten Frage, ob Volkswagen Vertrauen zurückgewinnen könne. Doch sind die Kunden wirklich daran interessiert? Ist es nicht vielmehr so, dass wenn Kunden mit einer Dienstleistung oder einem Produkt eigentlich zufrieden sind, eine solche Krise erfahrungsgemäß (siehe ADAC) auch rasch wieder vorbei ist? Jüngste, gute Verkaufszahlen nach Bekanntwerden des Skandals scheinen das doch zu belegen.

Peter Szyszka: Ich denke, man muss das Ganze differenzierter und nicht nur aus Kundenperspektive betrachten. Zunächst einmal halte ich es für gefährlich, mit aktuellen Verkaufszahlen zu argumentieren oder sich in Sicherheit zu wiegen. Autos sind imagesensible Produkte, bei denen sich Veränderungen nicht über Nacht, sondern mittel- und langfristig vollziehen, und es gibt kein Club-Modell wie beim ADAC, wo man auf die Trägheit der Masse setzen kann. Hier geht es immer wieder um neue Kaufentscheidungen, bei denen nicht nur der Grundnutzen Moblität, sondern auch Zusatznutzen bezahlt wird und dazu hören Image und Status. An Ford und Opel kann man das als Negativgeschichten genauso nachvollziehen wie an den Erfolgsgeschichten von VW und Audi. Es geht aber nicht allein um den Prozess des Wirtschaftens, also Beschaffung, Produktion und Absatz, es geht auch um die Bedingungen des Wirtschaftens, die Volkswagen künftig in Deutschland, den USA und anderswo auf der Welt vorfinden wird. Dort wird man – wie bei jedem Vertrauensbruch – zunächst einmal genauer hinschauen, was schon von der Sache her Handlungsspielräume enger absteckt. Zwar ist der Vertrauensbruch in der Beziehungsgeschichte zu den Stakeholdern nur eine Episode, aber sie ist nun mal Teil dieser Geschichte, mit deren Folgen man sich klugerweise in allen wesentlichen Beziehungssträngen substanziell auseinandersetzen und nach den kritischen Akzeptanzfaktoren fahnden sollte. Große Teile der Konzernzukunft werden auf Stakeholderebene entschieden.

Griepentrog: Der Titel des Dramas von Volkswagen und seinem ehemaligen CEO Martin Winterkorn könnte lauten „Aufstieg und Niedergang einer Kultfigur der deutschen Wirtschaft“. Die Geschichte ist nicht neu und auch die Motive – Sie schreiben von „Ignoranz“, „Selbstüberschätzung“ – sind altbekannt. Können wir die Krise bei Volkswagen aber wirklich an einer Person bzw. einem kleinen Personenkreis festmachen oder liegt die Wurzel doch tiefer, etwa in spezifischen markenstrategischen Widersprüchen? Was hat VW wirklich falsch gemacht? Und wie können wir solche Entwicklungen verhindern?

Szyszka: Das an einzelnen Personen festzumachen, ist sicher falsch; es geht um die gewachsene Kultur im Umgang mit Entscheidungen und Problemen. Es geht um den Habitus des Unternehmens, die Art und Weise, wie Umfeld und Wirklichkeit wahrgenommen, welche Informationen wie verarbeitet, wie Entscheidungen zustande kommen und wie diese kommuniziert und exekutiert werden. Es geht um eingefahrene Routine im Umgang mit Problemen und um den Umgang mit Herausforderungen. Hier haben sich Muster herausgeprägt, deren Zukunftsfähigkeit jetzt zur Disposition steht. Es kann – zugespitzt formuliert – nicht sein, dass ein Spaltmaß wichtiger ist als die rechtzeitige Information eines Hauptanteilseigners wie dem Land Niedersachsen, zudem auch noch ein besonderes Verhältnis besteht. Da funktioniert das System nicht. Martin Winterkorn war für mich im Übrigen nie eine Kultfigur. Dazu fehlte ihm das Charisma, um über die gewachsene Unternehmenskultur hinaus echte eigene Akzente zu setzen – wobei ich mich fairerweise nur auf das stützen kann, was ich über die Jahre in den Medien verfolgt habe.

Ein anderes Problem ist im Konzern offensichtlich bereits erkannt worden: die bislang fehlende Trennung von Holding und Marke Volkswagen, die nun vorgenommen wird. Volkswagen war Marke und Konzern zugleich. Ob der Claim „Volkswagen. Das Auto“ bewusst strategisch über die Marke hinausreichen und für das gesamte Kerngeschäft „Mobilität“ suggerieren sollte, entzieht sich meiner Kenntnis. Ein Problem ist sicher die Plattformstrategie, die ich als ein Holding-Geschäft verstehe, das von dort zu verantworten ist. Wenn, wie in den Medien dargestellt, eine Motorenlösung zu einem bestimmten Preis eingefordert wurde, wie beim EA 189, diese dann aber technisch nicht zu dem Preis, sondern nur unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erbracht wurde, dann stellt sich die Frage, wie kompetent der Volkswagen-Konzern tatsächlich bei der Frage moderner Mobiltätskonzepte ist. Ich denke, was wir in absehbarer Zukunft erleben werden, ist der „Bus-Unfall-Effekt“: Nach einem gravierenden Negativ-Ereignis werden viele kleinere Mängel und Probleme mit eigentlich geringem Nachrichtenwert in Medien und öffentlicher Meinung mit ‚dem‘ Fall in Beziehung gesetzt nach dem Motto: Siehst Du, so gut, wie wir immer gemeint haben, sind die eben doch nicht. Das mag nach Lebensweisheit klingen, dahinter lauert aber ein Imageproblem. Helfen kann da meines Erachtens nur, dass man sich künftig in Konzern und Marken strategisch-antizipativ mit den Folgen unternehmens- wie markenpolitischer Entscheidungen auseinandersetzt, dies in Entscheidungsprozessen und Auftritten mitdenkt und funktionale Transparenz schafft. Unternehmenskommunikation und Stakeholder-Management gehören dazu unmittelbar zusammen.

Über die beiden Interviewpartner: Dr. Peter Szyszka ist Professor für Organisationskommunikation und Public Relations an der Hochschule Hannover (HsH) und Leiter der Forschungsgruppe Beziehungskapital. Wolfgang Griepentrog ist Interim Manager und Kommunikationsberater. In seinem Blog „Glaubwürdig kommunizieren“ gibt er Impulse für effizientes Kommunikationsmanagement. Regelmäßig veröffentlicht er seine pointierten Marktreflexionen im „PR-Journal“.

Interview im PR-Journal

Vom Club der Krise

Das auflagenstärkste deutschsprachige Magazin - die ADAC Motorwelt

Das auflagenstärkste deutschsprachige Magazin – die ADAC Motorwelt

Seit einigen Tagen halten nun angeblich 19 Millionen Mitglieder des ADAC (by the way: hat Herr Ramstetter diese Zahl eventuell auch künstlich hochgesetzt?) die neue Ausgabe der auflagenstärkste deutschsprachige Zeitschrift, die ADAC Motorwelt, in der Hand. Schwarz auf Gelb prangt dort die 08/15-Beraterspruch von der „Krise als Chance“ auf dem Titelblatt. In neuem Layout. Spontan ist der Leser versucht, die Frage zu stellen, ob das neue Layout die Chance für den ADAC darstellt. Vielleicht ist aber das neue Layout auch die Chance für den Leser, endlich eine lesbare ADAC Motorwelt in der Hand zu halten. Knappe 15 Minuten später (so lange nimmt der seriöse kritische Leser sich bei solch einem Titelthema ja Zeit) weiß der Leser: Das Layout ist auch die einzige Veränderung beim ADAC.

Aufgeschlagen auf Seite 3 begrüßen einen die Mitarbeiter des Redaktionsteams. Sympathisch nur leider auch schnell zu durchschauen. Da auf den folgenden Seiten die Mitarbeiter und Mitglieder ihren ADAC abfeiern dürfen und dem Leser erklären, dass es keine Krise gibt. Alles prima: Die Mitglieder lieben die Gelben Engel und die Gelben Engel sind stolz auf ihre Arbeit. Und Statistiken oder Test wurden auch nicht gefälscht. Außer von Herrn Ramstetter. Nirgends eine selbstkritische Betrachtung der möglichen Interessenkonflikte, nicht einmal eine Erklärung, wie man diese Konflikte denn ggf. vermeidet oder umgeht. Wie der ADAC seine Unabhängigkeit gegenüber seinen Kooperationspartner bewahrt. Es bleibt das Geheimnis des ADAC.

Alle Hoffnung richtet sich dann auf das Interview mit dem Präsidenten. Aber halt: Ist der nicht gerade rausgeflogen? Oder hat er hingeschmissen, weil er nicht die Verantwortung für die fehlende Führung beim ADAC übernehmen wollte? Gut, immerhin also das Interview des gerade ex-Präsidenten Peter Meyer.

In diesem Interview zeigt Meyer sich erschüttert, er will nicht ruhen, bis alles aufgeklärt ist. Er nimmt die Vorwürfe sehr ernst. Doch sind die Vorwürfe, die aufgegriffen werden – „Wie konnte eine einzelne Führungskraft diese Wahl überhaupt unbemerkt verfälschen?“ Das versteht Herr Meyer auch nicht. Aber er will Offenheit und Transparenz und umfassende Aufklärung – im Fall des Gelben Engels. In seiner Rücktrittserklärung wird Meyer dann noch deutlicher. „Für Fehler und Manipulationen von hauptamtlichen Führungskräften, denen gemäß ADAC-Satzung die Besorgung der laufenden Geschäfte obliegt, möchte ich nicht länger alleine verantwortlich gemacht werden.“ So klingt ein beleidigter Chef, der sich der Krise seiner Organisation nicht stellen will.

Aber: Wie kann in einem Konzern offenbar jahrelang systematischer Betrug stattfinden, ohne dass jemand dies bemerkt? Wie muss es um das Unternehmensklima bestellt sein, dass niemand diesen Betrug an den Präsidenten meldet? Wieso fällt niemandem auf, dass die Neuwagen-Statistik und die Wahl zum beliebtesten Auto so wenig miteinander zu tun haben? Wieso fragt sich keiner, wo eigentlich die große Resonanz in den Sozialen Medien oder auch auf dem Postwege versandet, wenn sich doch eigentlich hunderttausende für die Wahl des Gelben Engel interessieren?

Im Interview dann die Frage nach Compliance-Richtlinien. Die Antwort „ja, die gibt es, aber ganz offensichtlich sind die nicht ausreichend.“ Also doch eine tiefgreifende Krise? Aber dann: „Selbst beim besten Compliance-System kann man Verfehlungen nicht vollständig ausschließen.“ Einerseits eine banale Feststellung – aber im Kern auch das Eingeständnis nicht verstanden zu haben, dass die Gesamtkonstruktion des ADAC als Verein, Lobbymacht, Unternehmen, Kooperationspartner der Industrie, Verbraucherschützer einfach ein mehrfacher Interessenkonflikt in sich ist. Da kann die Compliance noch so gut sein. Erst einmal muss man Selbstverständnis, Haltung und Geschäftsmodell auf den Prüfstand stellen.

Herr Meyer würde jetzt vermutlich erwidern, dass diese Kritik ungerecht sei, weil er ja bei Drucklegung des Interviews noch nicht ahnen konnte, was in der Zwischenzeit so alles passieren würde (z.B. dass das Deloitte Gutachten des ADAC nicht nur das Schönrechnen der Gelbe Engel Wahl, sondern ihre komplette Fälschung offenbaren würde).

Da fragt man sich dann, wer berät diesen ADAC eigentlich? Natürlich muss man in einer Krise ein Worst Case Szenario bilden, das den Referenzrahmen für die Krisenkommunikation darstellt. Ich muss von vorneherein davon ausgehen, dass dieser Worst Case denkbar ist, um nicht scheibchenweise Wahrheiten eingestehen zu müssen. Da kann auch noch so hilflose Betroffenheitsrhetorik nicht darüber hinweg täuschen. Die übrigens schnell entlarvt wird, wenn der Präsident sich mit dem Rettungshubschrauber fliegen lässt und wenig mit dem Alltag der ehrenamtlichen Helfer und Gelben Engel zu tun hat, über die nun soviel ungerechte Kritik hereinbreche.

Natürlich kann der ADAC heute nicht wissen, wo die Aufklärungsarbeit endet und wie tief auf der Faktenebene gefälscht und geschönt wurde. Natürlich kann der ADAC heute nicht wissen, wie man die vorhandenen Interessenkonflikte auflösen kann und muss. Natürlich kann der ADAC nicht wissen, wie seine Strukturen und Führungskräfte am Ende der Krise aussehen. Aber darum ist es ja in der Krise auch so dringend geboten, prozessorientiert und nicht ergebnisorientiert zu kommunizieren. Herr Meyer hätte gut daran getan, die Probleme offen und schonungslos zu benennen, und dann eben so offen, den Weg zur Problemlösung zu beschreiben und mit Meilensteinen zu versehen. Dann hätte man ihm geglaubt, dass er es ernst meint – mit der Aufklärung.

Warum zu Guttenberg im Amt bleiben muss

Der eine sieht „Guttenberg vor Scherbenhaufen„. Die anderen wähnen ihn als Opfer einer Kampagne und rufen zur Solidarität auf. Die grüne Bundestagsfraktion hat eine Blogsite mit überwiegend schlechten zu Guttenberg-Witzen eingerichtet. Die Tagesschau Online Redaktion merkt süffizant an, dass zu Guttenbergs Großvater Karl Theodor zu Guttenberg (der ohne Bindestrich) sein Buch 1973 unter dem Titel „Fußnoten“ publiziert hat (übrigens bei Amazon.de zur Zeit nur noch gebraucht erwerblich). Handelsblatt.com sah sich sogar genötigt einen kritischen Kommentar wieder offline zu nehmen. Bildblog.de hat den Kommentar von Rüdiger Scheides allerdings vor dem Vergessen bewahrt.

Während also die journalistischen und politischen Beobachter im Raumschiff Berlin aus einer Doktorarbeit eine Staatsaffäre machen, geraten andere Fragen fast in den Hintergrund: Hartz IV-Reform immer noch nicht durch den Vermittlungsausschuss? Drei tote Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan? Niedergeschossene Demokratie-Bewegung in Libyen und Bahrein, in Jemen und und und. Alles nichts.

Ist das nun also das Ende der Ära zu Guttenberg? Ist die Lichtgestalt verblüht? Wenn man den Umfragen Glauben schenken darf, sieht nur eine Minderheit des Wahlvolks ein Problem. Abschreiben? Wer hat das nicht gemacht in der Schule? – Plagiat? Was ist das?

Ja, zu Guttenberg hat ein Problem: Er darf nicht zurücktreten. Die forsche Lichtgestalt KTG würde genau das tun, um den eigenen Ruf zu wahren. Ein Minister, der ständig über seine Promotion, statt über seine Arbeit reden muss. Ein Minister, der nur scheibchenweise die Wahrheit einräumen kann, weil er sie vermutlich selbst nicht mehr kennt. Ein Minister, der mitten in der Krise die Bundespressekonferenz brüskiert. Zu Guttenberg wird wissen, dass seine taffen Worte künftig doppelt und dreifach auf ihre Glaubwürdigkeit hinterfragt werden.

Aber Rücktritt? Seehofer, Merkel und der Koalitionspartner FDP  haben weder ein Interesse daran, in mitten schwieriger Diskussionen um die Bundeswehr den Minister von Bord gehen zu lassen, noch wollen sie einen durch Rücktritt zu Ikone werdenden Politiker KTG im Nacken spüren. Darum werden sie zu Guttenberg auch nicht von Bord gehen lassen.

P.S.: Was macht eigentlich die Universität Bayreuth? Die haben doch eine veritable Glaubwürdigkeitskrise: GuttenPlag weist aktuell 267 von 405 Seiten mit fehlerhaften Zitaten aus. Das wären 68% der Seiten der Doktorarbeit mit zumindest einer Fundstellen. Ganze zehn Seiten der Arbeit sollen sogar fast wortgleich einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags entstammen. Wenn die Universität nicht in den Ruf kommen will, prominente Doktoranden anders zu behandeln als andere, bleibt ihr fast nur noch der Entzug des Doktortitels oder die erhebliche Abwertung der Guttenbergschen Doktorarbeit. Damit allerdings sind sie ein Damoklesschwert über Minister und CSU, denn die setzen gerade auf den Faktor Zeit und Vergessen – eine Entscheidung in Bayreuth ist erst in einigen Wochen, wenn nicht gar Monaten zu erwarten, solange lässt sich die Aufregung um eine Doktorarbeit nicht auf Seite eins der Tageszeitungen halten.

P.P.S.: Wirklich erfrischend ist übrigens der Kommentar von Thomas Stadler (Internet-Law), in dem er deutlich macht, wie gering in der aktuellen Debatte Urheberrecht und Intellectual Property Rights geschätzt werden. Denn das massenhafte „Vergessen“ einer Fußnote ist primär nicht eine Frage von Charakterstärke oder Schlampigkeit, sondern von Geringschätzung der Rechteinhaber.

Ist Politik noch planbar? Was sich nach Stuttgart 21 verändert hat.

Von Klaus-Peter Johanssen und Peter Ruhenstroth-Bauer

Nachstehend ein Auszug aus einem Artikel der beiden Autoren im aktuellen Heft des CICERO.

Jahrelange Planungen, zahlreiche Studien und Expertengutachten, internationale Zustimmung, öffentliche Anhörungen und die nötigen Genehmigungen hatten, so dachten die Verantwortlichen, ihrem Vorhaben die nötige Legitimität verschafft. Einer Besetzung durch Umweltschützer, glaubten sie, durch Regierungsunterstützung, gerichtliche Räumungsbeschlüsse, Einsatz von Sicherheitspersonal, Polizei und Wasserwerfern erfolgreich entgegentreten zu können. Und doch mussten sie ihren Plan am Ende aufgeben. Was wie die Kurzfassung von Stuttgart 21 klingt, ist die Geschichte der den Konzernen Shell und Exxon gemeinsam gehörenden Öllagerplattform Brent Spar. Im Verein mit deutschen Medien und deutscher Öffentlichkeit hatte Greenpeace die Versenkung der außer Dienst gestellten Anlage im Nordatlantik verhindert. Und das, obwohl vorher wie nachher nachgewiesen war, dass diese Form der Entsorgung geringere Umweltschäden als andere Entsorgungslösungen verursacht hätte. […]

Eine so emotionalisierte Form öffentlicher Kritik hatte es bis dahin in Deutschland nicht gegeben. […]

Die Parallelen sind offenkundig [zur Situation in Stuttgart]: […] Angefangen mit „Montagsdemonstrationen“ einiger tausend Menschen über originelle, kreative Protestformen wie dem täglichen „Schwabenstreich“, „Bürgerchor“ und „Widerstandsbier“ wurde aus einer Bürgerinitiative eine Protestbewegung. Mittlerweile mobilisiert das Bahnhofsprojekt regelmäßig 50.000 bis 60.000 Demonstranten. Meist sind es „brave“ Schwaben, keine Krawallmacher, sondern Bürger wie der Schauspieler Walter Sittler. […] Die Politik, von dem Protest „kalt erwischt“, reagiert bislang im alten Schema: Beschlossen und verkündet – der Tiefbahnhof wird realisiert. Diese unverrückbar scheinende Haltung, die als ignorante Arroganz der Macht aufgefasst wird, schürt den Widerstand und verstärkt ihn zur Wut. Stark emotionalisiert wurde die Lage durch den polizeilichen Einsatz von Wasserwerfern und Pfefferspray gegen Schulkinder, Frauen und Rentner und die Bilder darüber. […]

Hinzukam die Überzeugung der Politik, mit den vorgeschriebenen Beteiligungen der Öffentlichkeit, der Offenlegung der Planungen, der Behandlung von Einsprüchen bis zu rechtskräftigen Entscheidungen und der Befassung der Parlamente das Projekt rechtsstaatlich abgesichert zu haben. Damit sei das Projekt ausreichend legitimiert. […]

Juristisch betrachtet mögen sie recht haben. Mit diesem Hinweis werden sich die Demonstranten allerdings nicht nach Hause schicken lassen. […] Ungeachtet aller bisherigen Versäumnisse lässt sich die jüngste Entwicklung der Proteste gegen das Projekt freilich nicht mehr allein durch Fehler bei der Information der Bürger und der Kommunikation mit ihnen erklären. […]

Dass Politik so nicht mehr funktioniert, ist eine Binsenweisheit. Aber im Handeln und in der Kommunikation der Politik ist das immer noch nicht angekommen. Langzeitumfragen zeigen, dass die Menschen der politischen Kaste nicht mehr vertrauen. Die Wahlbeteiligungen, ganz gleich auf welcher Ebene, haben einen Tiefpunkt erreicht. Es wird Zeit, dass die Politik erkennt, dass die Uhren heute anders gehen.

Im Protest bei Stuttgart 21 wird daher mehr sichtbar als nur der Widerstand gegen ein Großprojekt. Der Protest ist gleichzeitig Symbol für Politik- und Politikerverdrossenheit der Bürger und mangelnde Bodenhaftung der politischen Entscheidungsträger. Wer sich nicht mehr ernst genommen fühlt, verliert zu Recht Vertrauen. Wem vermittelt wird, er habe keine Ahnung, der fragt nach der Legitimation der Politik. […] Die Attitüde „Information von oben nach unten“ funktioniert nicht mehr. Die Bürger fordern Mitspracherechte und Information auf Augenhöhe. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat in ihrer Antrittsrede als Bundesratspräsidentin formuliert, wie die Politik diese (neuen) Anforderungen erfüllen muss. Es gehe darum „von Anfang an aus Betroffenen wieder Beteiligte“ zu machen. Damit hat sie eine entscheidende Vorbedingung für erfolgreiche Politik formuliert. Information und Beteiligung, das verlangen die Bürgerinnen und Bürger immer lauter.

Dass Projektplanungen auch anders ablaufen können, zeigen zwei Hamburger Großprojekte im Jahr 2007: das eine die Idee einer Living-Bridge, einer an die Ponte Vecchio erinnernden 700 m langen Brücke über die Elbe mit Restaurants, Geschäften und 1.000 Wohnungen, das andere die Frage der baulichen Gestaltung des Domplatzes mitten in der City. In beiden Fällen hatten die Bürger die Möglichkeit, in Online-Foren die Pläne ausgiebig zu diskutieren und eigene Ideen vorzuschlagen. Die Ergebnisse dieser unter einer breiten Beteiligung von Bürgern und Experten sowie einer starken Medienresonanz abgelaufenen Prozesse sind bemerkenswert. Die zunächst als wegweisend bezeichnete Idee der Living-Bridge fand keine Mehrheit und wurde verworfen. Und der Hamburger Domplatz ist nun eine grüne Oase in der Stadtmitte mit den angedeuteten Grundmauern des Doms ganz ohne die ursprünglich vorgesehenen Stahl- und Glasbauten. Positive Beispiele sinnvoller Bürgerbeteiligung statt Bürgerproteste. […] Die Kommunizierbarkeit ist […] der Lackmus-Test in der Projektplanung.

Das bedeutet, dass die Politik zukünftig nicht mehr umhin kommt, sicher zu stellen, dass die Bürgerinnen und Bürger real an dem Projekt beteiligt werden. Das war bei Stuttgart 21 offenbar nicht der Fall. Wer genau hinsieht, stellt nämlich fest, dass die Beteiligung zwar nach allen erforderlichen Regularien, tatsächlich aber nur pro forma abgelaufen ist. Wie anders kann man es verstehen, dass bei den über 10.000 Einsprüchen nur die berücksichtigt wurden, die Änderungen an Einzelheiten des Tiefbahnhofprojektes vorsahen? Alle Einsprüche, die sich gänzlich gegen das Projekt aussprachen oder Alternativen unter Beibehaltung des Kopfbahnhofs vorgeschlagen haben, sind komplett unter den Tisch gefallen.

So werden aus Betroffenen keine Beteiligten, sondern Protestierende, im Fall Stuttgart 21, aber z.B. auch bei Gorleben, gar sog. „Wutprotestanten“. Die Folge dieses Kommunikationsversagens ist fatal: Denn nun spielt es keine Rolle mehr, ob der Protest gerechtfertigt ist oder nicht, die Protestierer mit ihrem Protest recht haben oder nicht. […] Kommunikation ist in diesem Stadium überfordert, die Basis für ein Agieren „nach Plan“ zu ermöglichen. Folgerichtig ist das Stuttgarter Schlichtungsverfahren trotz aller gut gemeinten Informationen via Internet und TV eine reine Schaufensterveranstaltung und Bühne der beteiligten Befürworter und Gegner. Dadurch jedenfalls wird der Konflikt nicht gelöst werden. Protest und Demonstrationen werden nicht nachlassen. Handlungsfreiheit wird daher nur gewonnen, wenn Lösungen gefunden werden, die am Ende dem Widerstand gegen das Projekt nachgeben. […]

Wenn „Politik planbar“ sein soll, müssen Partizipation und Information künftig Standard für solche Projekte von Politik und Wirtschaft werden. […]

In großen und zunehmend wohl auch kleinen Projekten bedeutet das für beide Seiten – Politik wie auch Bürgerinnen und Bürger – einen Gewöhnungsprozess. Der Bürgerfrust über „die da oben“ muss in echte und aktive Beteiligung umgelenkt werden. Auf der Suche nach Akzeptanz und einem Mehr an Legitimation muss die Politik dies ermöglichen und gleichzeitig das Bewusstsein schaffen, dass man sich auf Augenhöhe begegnet. Es mag sein, dass das eine oder andere Politik- oder Wirtschaftsprojekte dadurch nicht so umgesetzt werden kann, wie man sich das ursprünglich gedacht hatte. Aber mit der Bürgerbeteiligung hat man die Legitimation für seine Projekte und damit den notwendigen Handlungsspielraum sichergestellt. Das schafft nicht nur Akzeptanz, sondern macht Politik tatsächlich planbar.

Über die Autoren: Klaus-Peter Johanssen ist Kommunikationsberater und Mitgründer der Berliner Kommunikationsagentur Johanssen + Kretschmer. Bis 1998 war er Kommunikationschef der Shell in Deutschland. Peter Ruhenstroth-Bauer war Stellvertretender Chef des Bundespresseamtes und Staatssekretär bis 2005. Heute ist er Kommunikationsberater und Lehrbeauftragter für Regierungskommunikation (an der Universität Potsdam).

Forum mortale für die GEZ?

Gastbeitrag: Alexander Lang (J+K)

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Erst im Dezember wollte die GEZ Internetnutzer zur Kasse bitten. Die Empörung in der netzaffinen Gemeinde über das Verhalten der Behörde war groß. Nun soll es ein eigenes Forum wieder richten: www.gez-meine-meinung.de. Kritischer Austausch und rege Diskussionen sollen hier über die GEZ und die Rundfunkgebührenpflicht stattfinden. Ein konstruktiver Dialog auf Augenhöhe mit jungen, auch kritischen Internetusern. Tatsächlich findet eine sachliche Diskussion aber kaum statt. Stattdessen gibt es im Forum Kritik und im Netz Hohn. Warum geht der Plan nicht auf? Behördliche Öffnungszeiten und gefühlt 30 Moderatoren, die das Forum konktrollieren reichen als Erklärung nicht aus. Auch nicht die Tatsache, dass ungenehme Äußerungen der Nettiquette zum Opfer fallen. Insgesamt entsteht ein eher hilfloses Bild der Behörde.

Der eigentliche Grund liegt in der erfolgsentscheidenen Frage „Wer spricht im Forum mit wem?“

Grundsätzlich gilt: sind sich in einem Forum alle Teilnehmer einig, ist das schlecht. Wirklich unangenehm wird es, wenn Einigkeit in der Abneigung besteht. Das Forum wird so zur Anklagebank. Statt eines konstruktiven Diskurses entsteht ein sich selbst verstärkender Sturm der Entrüstung, gegen den eine Organisation mit ihren Botschaften nicht mehr durchdringt. Im Idealfall herrscht in einem Forum ein heterogenes Meinungsbild: engagierte Fürsprecher und versierte Kritiker ringen um die besten Argumente. Durch die generische Aufgabe als Gebühreneinzugszentrale hat die GEZ allerdings denkbar schlechte Vorraussetzungen für einen ausgeglichenen Diskurs – sie verfügt über deutlich mehr Kritiker als Fans. Und ihr Verhalten gegenüber den Internetusern hat ihren Stand erschwert. So steht die GEZ mit ihren 5 Mitarbeiter-Blogs und ihren Moderatoren im eigenen Forum recht alleine dar.

Das führt zu einem weiteren entscheidenden Punkt, der Rolle der Organisation selbst. Tritt sie im Forum zurückhaltend auf und stellt lediglich die Bühne für die Debatte, unterstützt sie diese glaubwürdig. Muss sie allerdings selbst agieren, wird es riskant. Denn in diesem Punkt ist die angesprochene Nutzergemeinde besonders empfindlich.

 Die GEZ wird mit ihrem Forum ihr Image nicht verbessern können. Ein wenig Dialogbereitschaft und ein paar Mitarbeiter-Blogs reißen keine Mauern ein. Aber ist das alles deshalb ein PR-Disaster? Nein, denn schlechter wird ihr Ruf dadurch auch nicht. Die Kritik wird sich auf längere Sicht totlaufen, die kritische Blogger-Gemeinde sich anderen Themen zuwenden. Am Ende wird das Forum wahrscheinlich ein Datenfriedhof im Netz sein, und damit eine Fehlinvestition – nicht mehr und nicht weniger.

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