Volkswagen: „Große Teile der Konzernzukunft von Volkswagen werden auf Stakeholderebene entschieden“ – Teil II
Wolfgang Griepentrog befragt Peter Szyszka zu dessen „PR-Journal“-Beitrag vom 22. Oktober
In seinem Beitrag „Volkswagen nach dem Vertrauenseinbruch: Beziehungskapital muss neu aufgebaut werden“ vom 22. Oktober im „PR-Journal“ hat Professor Peter Szyszka unter anderem gefordert, Volkswagen müsse eine Antwort darauf geben, was der künftige USP des Konzerns rund um sein Zukunftsthema Massenmobilität sein könnte. Außerdem hat er diagnostiziert, für Volkswagen gehe es darum, Beziehungskapital wieder aufzubauen und zu befestigen. Das hat Diskussionen über den künftigen kommunikationspolitischen Weg von Volkswagen aufgeworfen. Am 3. November beantwortete Szyszka die ersten beiden von fünf Fragen, die „PR-Journal“-Autor Wolfgang Griepentrog an den Hannoveraner Professor gerichtet hat. Heute folgt der zweite Teil der Antworten.
Wolfgang Griepentrog: Der Automobilkunde kauft bei VW oder bei einer anderen Marke des Konzerns; der Konzern und seine Problem sind dem Kunden erfahrungsgemäß egal. Das Leistungsversprechen wird primär am Produkt festgemacht, weniger an der Einhaltung konzernweiter Prinzipien. Ethische und ökologische Aspekte sind Kunden zwar wichtig, aber nicht unbedingt kaufentscheidend. Warum also soll sich der Konzern um seinen „USP“ kümmern? Muss nicht primär die Produktmarke VW neu erfunden werden? Und wie würden Sie überhaupt das Verhältnis zwischen der Konzernmarke „Volkswagen“ und der Produktmarke „Volkswagen“ sowie den anderen Töchtern beschreiben?
Peter Szyszka: Das sind gleich mehrere Fragen auf einmal. Zunächst muss, wenn es um den Konzern geht, zunächst das Prinzip Verantwortung gelten. Markenübergreifenden Themen wie Baugruppen oder eben Motoren sind Teile der Konzernverantwortung. Der Konzern macht Vorgaben, die Ingenieure einzelner Marken entwickeln, aber nicht für eine Marke, sondern entlang der Konzernvorgaben. Hier braucht es eine von außen klare Verantwortungsstruktur. Zweitens geht es um die Zukunft des klassischen Verbrennungsmotors. Wie kaum ein anderer Konzern – ausgenommen Ford – kann Volkswagen damit prahlen, ein entscheidender Wegbereiter moderner Massenmobilität gewesen zu sein. Hierfür stehen Käfer und Golf. Von hieraus sind die zentralen, plattformgebundenen Marken VW, Audi, Skoda und Seat zu interpretieren, die – jede auf ihre Weise – Teile des Massenmarktes bedienen. Die Zukunft des Verbrennungsmotors kann nur verbrauchsarm, umweltschonend und leistungsfähig und zwar in dieser Reihenfolge. Nur so können Massenautos auf Dauer aus ökonomischer wie ökologischer Perspektive für Kunden attraktiv sein. Unter diesem Dach diversifizieren die Marken. Die Produktmarke „Volkswagen. Das Auto“ muss nicht neu erfunden werden. Nur muss klar sein, wofür sie steht: für die Marke Volkswagen mit ihrer Tradition und dem mobilitätsbezogenen Leistungsversprechen.
Wolfgang Griepentrog: Wie können Automarken im deutschen Auto-Markt eigentlich den Spagat zwischen Spaß am Fahren, Markenillusionen, Wirtschaftlichkeit und Umweltfreundlichkeit schaffen und gegenüber den Kunden auch glaubwürdig vermitteln? Und wie kann ein international aufgestellter Konzern diesen Spagat auch in Regionen schaffen, in denen andere Kaufmotive gelten? Was ist hier am meisten gefragt: Kluge Markenstrategien, spezielle Unternehmensprinzipien oder ein Management, das alle möglichen Konflikte im Blick hat?
Peter Szyszka: Ich glaube, man sollte fragen, wie sie dies in der Vergangenheit gemacht haben, warum dies so war, und weiter, wie erfolgversprechend dieser Weg in Zukunft sein kann. Wenn man die mittlerweile sieben Golf-Generationen nebeneinander stellt, kann man sehen, wie dieses Auto immer größer, immer aufwendiger und immer teurer geworden ist. Dafür kamen von ‚unten‘ kleinere Baureihen nach, die dann auch wieder gewachsen sind. Für den Konzern ist dies attraktiv, weil mit steigenden PS-Zahlen und zunehmend verkauften Zusatznutzen auch Erträge und Gewinne steigen. Dass es so sein muss, wird dann von Marketingstrategen suggeriert. Dies gilt meines Erachtens für die gesamte deutsche Autobranche und ist eine Spirale, die sich nicht ins Unendliche weiterdrehen lässt. Im Gegenteil: Das Größenwachstum von Autos scheint mir in jeder Hinsicht begrenzt und lässt sich in absehbarer Zeit auch nicht mehr mit ausgetüfftelten Finanzierungsmodellen auffangen. Den Mut, hier den Hebel umzuwerfen und mit einfacheren, kostengünstigeren Autos in eine andere Richtung zu gehen, in der aus dem Spagat zwischen Spaß am Fahren, Markenillusionen, Wirtschaftlichkeit und Umweltfreundlichkeit ein Konglomerat wird, könnte eine Lösung sein. Dies mag im Moment wie eine Illusion klingen, aber die Frage, mit welcher Art von Autos Volkswagen in der mobilen Welt von morgen, z.B. am eigenen 100. Geburtstag erfolgreich sein kann, lässt in meinen Augen nur eine Antwort zu: so wie zuletzt jedenfalls nicht. Kernkompetenz und Markenkern ist die Mobilität. Sie müsste wieder im Zentrum stehen. Natürlich ist mir klar, dass es ein schwieriger Prozess wäre, denn die Modellpaletten sind da, der Konzern muss weiterleben und die Entwicklung neuer Modelle und Baureihen braucht seine Zeit. Deswegen könnte sich Veränderung vermutlich nicht radikal, sondern nur sukzessive vollziehen.
Wolfgang Griepentrog: Unternehmen, die eine Spitzenposition erklommen haben, sind besonders gefährdet und verwundbar. Schon weil es viel schwerer ist, an der Spitze zu bleiben und weiter zu wachsen als sich von geringerem Niveau aus zu entwickeln. Reputationsschäden sind deswegen besonders gravierend und für das Unternehmen schmerzhaft. Verantwortungsbewusstes Management sollte also darauf ausgerichtet sein, den Konzern mit seinen Marken nicht nur erfolgreich, sondern auch widerstandsfähig („resilient“) zu machen. Wie könnte eine „resiliente“ Unternehmens- und Markenführung bei Volkswagen aussehen?
Peter Szyszka: Sind Größe und Spitzenposition in einer ‚Weltrangliste‘ der Automobilverkäufe und Unternehmenserträge tatsächlich brauchbare Indikatoren für Erfolg, Resilienz und Zukunftsfähigkeit? Und war es nicht eine Gier, Toyota als Spitzenreiter ablösen zu wollen? Ist es daher nicht eine Ironie des Schicksals, dass die Krise genau zu dem Zeitpunkt ausbricht, als dieser Punkt erreicht wurde? Aber vielleicht kommt diese Krise genau zum richtigen Zeitpunkt, um einen Prozess einzuleiten, der gerade beim Volkswagenkonzern schwieriger einzuleiten gewesen wäre. Ich meine Industrie 4.0. Diese wird die Struktur des Volkswagenkonzerns und seiner Markentöchter gravierend verändern. Wie viele Menschen werden in 10, 15 Jahren bei VW in Wolfsburg arbeiten? Zwei Drittel, die Hälfte? Dabei wird es – zumindest aus heutiger Perspektive – weiter um den Bau von Autos gehen. Der Konzern muss sich allerdings entscheiden, welche Art von Autos diese Zukunft sichern soll und wie diese als imagemäßig diversifizierte Marken geführt werden könnten. Jene Marken, die nichts anderes sind als soziale Konstrukte, die ein Absender zwar beliebig stilisieren kann, diese aber erst durch Markenakzeptanz in Markt und Öffentlichkeit Wirkungen erzielen. Dies setzt voraus, dass der Konzern die Befindlichkeit von Markt und Marktumfeldern, den Resonanzräumen von Markenimages und deren kritische Akzeptanzfaktoren, bestens kennt. Hier muss meines Erachtens künftige Markenpolitik und -führung ansetzen.
Wolfgang Griepentrog: Vielen Dank, Herr Szyszka, für die ausführlichen Antworten.
Peter Szyszka: Gerne! Gestatten Sie mir aber bitte noch eine Schlussbemerkung. – Kurt Lotz, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG von 1968 bis 1971, hat in seinen „Lebenserinnerungen“ 1978 geschrieben, „dass die Öffentlichkeitsarbeit bei VW unter dem Aspekt planerischer Aktionen zu meiner Zeit nicht den Ansprüchen genügte, muss ich nachträglich gestehen.“ Er fügte hinzu, dass für ein Unternehmen schon damals „Öffentlichkeitsarbeit zu einem entscheidenden Faktor neben Forschung, Produktion und Absatz“ werden müsse und zwar nicht im Sinne von Produktwerbung, sondern von managementbezogener integrierter Kommunikation. Ein bis heute offensichtlich ungelöstes Volkswagen-Problem, das heute schlicht „Stakeholder-Management“ heißen müsste. Hier den Hebel umzuwerfen, führt zum VW-Kulturproblem zurück.
Volkswagen: „Große Teile der Konzernzukunft werden auf Stakeholderebene entschieden“
Gastbeitrag: Wolfgang Griepentrog befragt Peter Szyszka zu dessen „PR-Journal“-Beitrag vom 22. Oktober
In seinem Beitrag „Volkswagen nach dem Vertrauenseinbruch: Beziehungskapital muss neu aufgebaut werden“ im „PR-Journal“ hat Professor Peter Szyszka unter anderem gefordert, Volkswagen müsse eine Antwort darauf geben, was der künftige USP des Konzerns rund um sein Zukunftsthema Massenmobilität sein könnte. Außerdem hat er diagnostiziert, für Volkswagen gehe es darum, Beziehungskapital wieder aufzubauen und zu befestigen. Das hat Diskussionen über den künftigen kommunikationspolitischen Weg von Volkswagen aufgeworfen.
Wolfgang Griepentrog: Ihren Beitrag beginnen Sie mit der provokanten Frage, ob Volkswagen Vertrauen zurückgewinnen könne. Doch sind die Kunden wirklich daran interessiert? Ist es nicht vielmehr so, dass wenn Kunden mit einer Dienstleistung oder einem Produkt eigentlich zufrieden sind, eine solche Krise erfahrungsgemäß (siehe ADAC) auch rasch wieder vorbei ist? Jüngste, gute Verkaufszahlen nach Bekanntwerden des Skandals scheinen das doch zu belegen.
Peter Szyszka: Ich denke, man muss das Ganze differenzierter und nicht nur aus Kundenperspektive betrachten. Zunächst einmal halte ich es für gefährlich, mit aktuellen Verkaufszahlen zu argumentieren oder sich in Sicherheit zu wiegen. Autos sind imagesensible Produkte, bei denen sich Veränderungen nicht über Nacht, sondern mittel- und langfristig vollziehen, und es gibt kein Club-Modell wie beim ADAC, wo man auf die Trägheit der Masse setzen kann. Hier geht es immer wieder um neue Kaufentscheidungen, bei denen nicht nur der Grundnutzen Moblität, sondern auch Zusatznutzen bezahlt wird und dazu hören Image und Status. An Ford und Opel kann man das als Negativgeschichten genauso nachvollziehen wie an den Erfolgsgeschichten von VW und Audi. Es geht aber nicht allein um den Prozess des Wirtschaftens, also Beschaffung, Produktion und Absatz, es geht auch um die Bedingungen des Wirtschaftens, die Volkswagen künftig in Deutschland, den USA und anderswo auf der Welt vorfinden wird. Dort wird man – wie bei jedem Vertrauensbruch – zunächst einmal genauer hinschauen, was schon von der Sache her Handlungsspielräume enger absteckt. Zwar ist der Vertrauensbruch in der Beziehungsgeschichte zu den Stakeholdern nur eine Episode, aber sie ist nun mal Teil dieser Geschichte, mit deren Folgen man sich klugerweise in allen wesentlichen Beziehungssträngen substanziell auseinandersetzen und nach den kritischen Akzeptanzfaktoren fahnden sollte. Große Teile der Konzernzukunft werden auf Stakeholderebene entschieden.
Griepentrog: Der Titel des Dramas von Volkswagen und seinem ehemaligen CEO Martin Winterkorn könnte lauten „Aufstieg und Niedergang einer Kultfigur der deutschen Wirtschaft“. Die Geschichte ist nicht neu und auch die Motive – Sie schreiben von „Ignoranz“, „Selbstüberschätzung“ – sind altbekannt. Können wir die Krise bei Volkswagen aber wirklich an einer Person bzw. einem kleinen Personenkreis festmachen oder liegt die Wurzel doch tiefer, etwa in spezifischen markenstrategischen Widersprüchen? Was hat VW wirklich falsch gemacht? Und wie können wir solche Entwicklungen verhindern?
Szyszka: Das an einzelnen Personen festzumachen, ist sicher falsch; es geht um die gewachsene Kultur im Umgang mit Entscheidungen und Problemen. Es geht um den Habitus des Unternehmens, die Art und Weise, wie Umfeld und Wirklichkeit wahrgenommen, welche Informationen wie verarbeitet, wie Entscheidungen zustande kommen und wie diese kommuniziert und exekutiert werden. Es geht um eingefahrene Routine im Umgang mit Problemen und um den Umgang mit Herausforderungen. Hier haben sich Muster herausgeprägt, deren Zukunftsfähigkeit jetzt zur Disposition steht. Es kann – zugespitzt formuliert – nicht sein, dass ein Spaltmaß wichtiger ist als die rechtzeitige Information eines Hauptanteilseigners wie dem Land Niedersachsen, zudem auch noch ein besonderes Verhältnis besteht. Da funktioniert das System nicht. Martin Winterkorn war für mich im Übrigen nie eine Kultfigur. Dazu fehlte ihm das Charisma, um über die gewachsene Unternehmenskultur hinaus echte eigene Akzente zu setzen – wobei ich mich fairerweise nur auf das stützen kann, was ich über die Jahre in den Medien verfolgt habe.
Ein anderes Problem ist im Konzern offensichtlich bereits erkannt worden: die bislang fehlende Trennung von Holding und Marke Volkswagen, die nun vorgenommen wird. Volkswagen war Marke und Konzern zugleich. Ob der Claim „Volkswagen. Das Auto“ bewusst strategisch über die Marke hinausreichen und für das gesamte Kerngeschäft „Mobilität“ suggerieren sollte, entzieht sich meiner Kenntnis. Ein Problem ist sicher die Plattformstrategie, die ich als ein Holding-Geschäft verstehe, das von dort zu verantworten ist. Wenn, wie in den Medien dargestellt, eine Motorenlösung zu einem bestimmten Preis eingefordert wurde, wie beim EA 189, diese dann aber technisch nicht zu dem Preis, sondern nur unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erbracht wurde, dann stellt sich die Frage, wie kompetent der Volkswagen-Konzern tatsächlich bei der Frage moderner Mobiltätskonzepte ist. Ich denke, was wir in absehbarer Zukunft erleben werden, ist der „Bus-Unfall-Effekt“: Nach einem gravierenden Negativ-Ereignis werden viele kleinere Mängel und Probleme mit eigentlich geringem Nachrichtenwert in Medien und öffentlicher Meinung mit ‚dem‘ Fall in Beziehung gesetzt nach dem Motto: Siehst Du, so gut, wie wir immer gemeint haben, sind die eben doch nicht. Das mag nach Lebensweisheit klingen, dahinter lauert aber ein Imageproblem. Helfen kann da meines Erachtens nur, dass man sich künftig in Konzern und Marken strategisch-antizipativ mit den Folgen unternehmens- wie markenpolitischer Entscheidungen auseinandersetzt, dies in Entscheidungsprozessen und Auftritten mitdenkt und funktionale Transparenz schafft. Unternehmenskommunikation und Stakeholder-Management gehören dazu unmittelbar zusammen.
Über die beiden Interviewpartner: Dr. Peter Szyszka ist Professor für Organisationskommunikation und Public Relations an der Hochschule Hannover (HsH) und Leiter der Forschungsgruppe Beziehungskapital. Wolfgang Griepentrog ist Interim Manager und Kommunikationsberater. In seinem Blog „Glaubwürdig kommunizieren“ gibt er Impulse für effizientes Kommunikationsmanagement. Regelmäßig veröffentlicht er seine pointierten Marktreflexionen im „PR-Journal“.
Vom Club der Krise
Seit einigen Tagen halten nun angeblich 19 Millionen Mitglieder des ADAC (by the way: hat Herr Ramstetter diese Zahl eventuell auch künstlich hochgesetzt?) die neue Ausgabe der auflagenstärkste deutschsprachige Zeitschrift, die ADAC Motorwelt, in der Hand. Schwarz auf Gelb prangt dort die 08/15-Beraterspruch von der „Krise als Chance“ auf dem Titelblatt. In neuem Layout. Spontan ist der Leser versucht, die Frage zu stellen, ob das neue Layout die Chance für den ADAC darstellt. Vielleicht ist aber das neue Layout auch die Chance für den Leser, endlich eine lesbare ADAC Motorwelt in der Hand zu halten. Knappe 15 Minuten später (so lange nimmt der seriöse kritische Leser sich bei solch einem Titelthema ja Zeit) weiß der Leser: Das Layout ist auch die einzige Veränderung beim ADAC.
Aufgeschlagen auf Seite 3 begrüßen einen die Mitarbeiter des Redaktionsteams. Sympathisch nur leider auch schnell zu durchschauen. Da auf den folgenden Seiten die Mitarbeiter und Mitglieder ihren ADAC abfeiern dürfen und dem Leser erklären, dass es keine Krise gibt. Alles prima: Die Mitglieder lieben die Gelben Engel und die Gelben Engel sind stolz auf ihre Arbeit. Und Statistiken oder Test wurden auch nicht gefälscht. Außer von Herrn Ramstetter. Nirgends eine selbstkritische Betrachtung der möglichen Interessenkonflikte, nicht einmal eine Erklärung, wie man diese Konflikte denn ggf. vermeidet oder umgeht. Wie der ADAC seine Unabhängigkeit gegenüber seinen Kooperationspartner bewahrt. Es bleibt das Geheimnis des ADAC.
Alle Hoffnung richtet sich dann auf das Interview mit dem Präsidenten. Aber halt: Ist der nicht gerade rausgeflogen? Oder hat er hingeschmissen, weil er nicht die Verantwortung für die fehlende Führung beim ADAC übernehmen wollte? Gut, immerhin also das Interview des gerade ex-Präsidenten Peter Meyer.
In diesem Interview zeigt Meyer sich erschüttert, er will nicht ruhen, bis alles aufgeklärt ist. Er nimmt die Vorwürfe sehr ernst. Doch sind die Vorwürfe, die aufgegriffen werden – „Wie konnte eine einzelne Führungskraft diese Wahl überhaupt unbemerkt verfälschen?“ Das versteht Herr Meyer auch nicht. Aber er will Offenheit und Transparenz und umfassende Aufklärung – im Fall des Gelben Engels. In seiner Rücktrittserklärung wird Meyer dann noch deutlicher. „Für Fehler und Manipulationen von hauptamtlichen Führungskräften, denen gemäß ADAC-Satzung die Besorgung der laufenden Geschäfte obliegt, möchte ich nicht länger alleine verantwortlich gemacht werden.“ So klingt ein beleidigter Chef, der sich der Krise seiner Organisation nicht stellen will.
Aber: Wie kann in einem Konzern offenbar jahrelang systematischer Betrug stattfinden, ohne dass jemand dies bemerkt? Wie muss es um das Unternehmensklima bestellt sein, dass niemand diesen Betrug an den Präsidenten meldet? Wieso fällt niemandem auf, dass die Neuwagen-Statistik und die Wahl zum beliebtesten Auto so wenig miteinander zu tun haben? Wieso fragt sich keiner, wo eigentlich die große Resonanz in den Sozialen Medien oder auch auf dem Postwege versandet, wenn sich doch eigentlich hunderttausende für die Wahl des Gelben Engel interessieren?
Im Interview dann die Frage nach Compliance-Richtlinien. Die Antwort „ja, die gibt es, aber ganz offensichtlich sind die nicht ausreichend.“ Also doch eine tiefgreifende Krise? Aber dann: „Selbst beim besten Compliance-System kann man Verfehlungen nicht vollständig ausschließen.“ Einerseits eine banale Feststellung – aber im Kern auch das Eingeständnis nicht verstanden zu haben, dass die Gesamtkonstruktion des ADAC als Verein, Lobbymacht, Unternehmen, Kooperationspartner der Industrie, Verbraucherschützer einfach ein mehrfacher Interessenkonflikt in sich ist. Da kann die Compliance noch so gut sein. Erst einmal muss man Selbstverständnis, Haltung und Geschäftsmodell auf den Prüfstand stellen.
Herr Meyer würde jetzt vermutlich erwidern, dass diese Kritik ungerecht sei, weil er ja bei Drucklegung des Interviews noch nicht ahnen konnte, was in der Zwischenzeit so alles passieren würde (z.B. dass das Deloitte Gutachten des ADAC nicht nur das Schönrechnen der Gelbe Engel Wahl, sondern ihre komplette Fälschung offenbaren würde).
Da fragt man sich dann, wer berät diesen ADAC eigentlich? Natürlich muss man in einer Krise ein Worst Case Szenario bilden, das den Referenzrahmen für die Krisenkommunikation darstellt. Ich muss von vorneherein davon ausgehen, dass dieser Worst Case denkbar ist, um nicht scheibchenweise Wahrheiten eingestehen zu müssen. Da kann auch noch so hilflose Betroffenheitsrhetorik nicht darüber hinweg täuschen. Die übrigens schnell entlarvt wird, wenn der Präsident sich mit dem Rettungshubschrauber fliegen lässt und wenig mit dem Alltag der ehrenamtlichen Helfer und Gelben Engel zu tun hat, über die nun soviel ungerechte Kritik hereinbreche.
Natürlich kann der ADAC heute nicht wissen, wo die Aufklärungsarbeit endet und wie tief auf der Faktenebene gefälscht und geschönt wurde. Natürlich kann der ADAC heute nicht wissen, wie man die vorhandenen Interessenkonflikte auflösen kann und muss. Natürlich kann der ADAC nicht wissen, wie seine Strukturen und Führungskräfte am Ende der Krise aussehen. Aber darum ist es ja in der Krise auch so dringend geboten, prozessorientiert und nicht ergebnisorientiert zu kommunizieren. Herr Meyer hätte gut daran getan, die Probleme offen und schonungslos zu benennen, und dann eben so offen, den Weg zur Problemlösung zu beschreiben und mit Meilensteinen zu versehen. Dann hätte man ihm geglaubt, dass er es ernst meint – mit der Aufklärung.
Warum zu Guttenberg im Amt bleiben muss
Der eine sieht „Guttenberg vor Scherbenhaufen„. Die anderen wähnen ihn als Opfer einer Kampagne und rufen zur Solidarität auf. Die grüne Bundestagsfraktion hat eine Blogsite mit überwiegend schlechten zu Guttenberg-Witzen eingerichtet. Die Tagesschau Online Redaktion merkt süffizant an, dass zu Guttenbergs Großvater Karl Theodor zu Guttenberg (der ohne Bindestrich) sein Buch 1973 unter dem Titel „Fußnoten“ publiziert hat (übrigens bei Amazon.de zur Zeit nur noch gebraucht erwerblich). Handelsblatt.com sah sich sogar genötigt einen kritischen Kommentar wieder offline zu nehmen. Bildblog.de hat den Kommentar von Rüdiger Scheides allerdings vor dem Vergessen bewahrt.
Während also die journalistischen und politischen Beobachter im Raumschiff Berlin aus einer Doktorarbeit eine Staatsaffäre machen, geraten andere Fragen fast in den Hintergrund: Hartz IV-Reform immer noch nicht durch den Vermittlungsausschuss? Drei tote Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan? Niedergeschossene Demokratie-Bewegung in Libyen und Bahrein, in Jemen und und und. Alles nichts.
Ist das nun also das Ende der Ära zu Guttenberg? Ist die Lichtgestalt verblüht? Wenn man den Umfragen Glauben schenken darf, sieht nur eine Minderheit des Wahlvolks ein Problem. Abschreiben? Wer hat das nicht gemacht in der Schule? – Plagiat? Was ist das?
Ja, zu Guttenberg hat ein Problem: Er darf nicht zurücktreten. Die forsche Lichtgestalt KTG würde genau das tun, um den eigenen Ruf zu wahren. Ein Minister, der ständig über seine Promotion, statt über seine Arbeit reden muss. Ein Minister, der nur scheibchenweise die Wahrheit einräumen kann, weil er sie vermutlich selbst nicht mehr kennt. Ein Minister, der mitten in der Krise die Bundespressekonferenz brüskiert. Zu Guttenberg wird wissen, dass seine taffen Worte künftig doppelt und dreifach auf ihre Glaubwürdigkeit hinterfragt werden.
Aber Rücktritt? Seehofer, Merkel und der Koalitionspartner FDP haben weder ein Interesse daran, in mitten schwieriger Diskussionen um die Bundeswehr den Minister von Bord gehen zu lassen, noch wollen sie einen durch Rücktritt zu Ikone werdenden Politiker KTG im Nacken spüren. Darum werden sie zu Guttenberg auch nicht von Bord gehen lassen.
P.S.: Was macht eigentlich die Universität Bayreuth? Die haben doch eine veritable Glaubwürdigkeitskrise: GuttenPlag weist aktuell 267 von 405 Seiten mit fehlerhaften Zitaten aus. Das wären 68% der Seiten der Doktorarbeit mit zumindest einer Fundstellen. Ganze zehn Seiten der Arbeit sollen sogar fast wortgleich einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags entstammen. Wenn die Universität nicht in den Ruf kommen will, prominente Doktoranden anders zu behandeln als andere, bleibt ihr fast nur noch der Entzug des Doktortitels oder die erhebliche Abwertung der Guttenbergschen Doktorarbeit. Damit allerdings sind sie ein Damoklesschwert über Minister und CSU, denn die setzen gerade auf den Faktor Zeit und Vergessen – eine Entscheidung in Bayreuth ist erst in einigen Wochen, wenn nicht gar Monaten zu erwarten, solange lässt sich die Aufregung um eine Doktorarbeit nicht auf Seite eins der Tageszeitungen halten.
P.P.S.: Wirklich erfrischend ist übrigens der Kommentar von Thomas Stadler (Internet-Law), in dem er deutlich macht, wie gering in der aktuellen Debatte Urheberrecht und Intellectual Property Rights geschätzt werden. Denn das massenhafte „Vergessen“ einer Fußnote ist primär nicht eine Frage von Charakterstärke oder Schlampigkeit, sondern von Geringschätzung der Rechteinhaber.
Ist Politik noch planbar? Was sich nach Stuttgart 21 verändert hat.
Von Klaus-Peter Johanssen und Peter Ruhenstroth-Bauer
Nachstehend ein Auszug aus einem Artikel der beiden Autoren im aktuellen Heft des CICERO.
Jahrelange Planungen, zahlreiche Studien und Expertengutachten, internationale Zustimmung, öffentliche Anhörungen und die nötigen Genehmigungen hatten, so dachten die Verantwortlichen, ihrem Vorhaben die nötige Legitimität verschafft. Einer Besetzung durch Umweltschützer, glaubten sie, durch Regierungsunterstützung, gerichtliche Räumungsbeschlüsse, Einsatz von Sicherheitspersonal, Polizei und Wasserwerfern erfolgreich entgegentreten zu können. Und doch mussten sie ihren Plan am Ende aufgeben. Was wie die Kurzfassung von Stuttgart 21 klingt, ist die Geschichte der den Konzernen Shell und Exxon gemeinsam gehörenden Öllagerplattform Brent Spar. Im Verein mit deutschen Medien und deutscher Öffentlichkeit hatte Greenpeace die Versenkung der außer Dienst gestellten Anlage im Nordatlantik verhindert. Und das, obwohl vorher wie nachher nachgewiesen war, dass diese Form der Entsorgung geringere Umweltschäden als andere Entsorgungslösungen verursacht hätte. […]
Eine so emotionalisierte Form öffentlicher Kritik hatte es bis dahin in Deutschland nicht gegeben. […]
Die Parallelen sind offenkundig [zur Situation in Stuttgart]: […] Angefangen mit „Montagsdemonstrationen“ einiger tausend Menschen über originelle, kreative Protestformen wie dem täglichen „Schwabenstreich“, „Bürgerchor“ und „Widerstandsbier“ wurde aus einer Bürgerinitiative eine Protestbewegung. Mittlerweile mobilisiert das Bahnhofsprojekt regelmäßig 50.000 bis 60.000 Demonstranten. Meist sind es „brave“ Schwaben, keine Krawallmacher, sondern Bürger wie der Schauspieler Walter Sittler. […] Die Politik, von dem Protest „kalt erwischt“, reagiert bislang im alten Schema: Beschlossen und verkündet – der Tiefbahnhof wird realisiert. Diese unverrückbar scheinende Haltung, die als ignorante Arroganz der Macht aufgefasst wird, schürt den Widerstand und verstärkt ihn zur Wut. Stark emotionalisiert wurde die Lage durch den polizeilichen Einsatz von Wasserwerfern und Pfefferspray gegen Schulkinder, Frauen und Rentner und die Bilder darüber. […]
Hinzukam die Überzeugung der Politik, mit den vorgeschriebenen Beteiligungen der Öffentlichkeit, der Offenlegung der Planungen, der Behandlung von Einsprüchen bis zu rechtskräftigen Entscheidungen und der Befassung der Parlamente das Projekt rechtsstaatlich abgesichert zu haben. Damit sei das Projekt ausreichend legitimiert. […]
Juristisch betrachtet mögen sie recht haben. Mit diesem Hinweis werden sich die Demonstranten allerdings nicht nach Hause schicken lassen. […] Ungeachtet aller bisherigen Versäumnisse lässt sich die jüngste Entwicklung der Proteste gegen das Projekt freilich nicht mehr allein durch Fehler bei der Information der Bürger und der Kommunikation mit ihnen erklären. […]
Dass Politik so nicht mehr funktioniert, ist eine Binsenweisheit. Aber im Handeln und in der Kommunikation der Politik ist das immer noch nicht angekommen. Langzeitumfragen zeigen, dass die Menschen der politischen Kaste nicht mehr vertrauen. Die Wahlbeteiligungen, ganz gleich auf welcher Ebene, haben einen Tiefpunkt erreicht. Es wird Zeit, dass die Politik erkennt, dass die Uhren heute anders gehen.
Im Protest bei Stuttgart 21 wird daher mehr sichtbar als nur der Widerstand gegen ein Großprojekt. Der Protest ist gleichzeitig Symbol für Politik- und Politikerverdrossenheit der Bürger und mangelnde Bodenhaftung der politischen Entscheidungsträger. Wer sich nicht mehr ernst genommen fühlt, verliert zu Recht Vertrauen. Wem vermittelt wird, er habe keine Ahnung, der fragt nach der Legitimation der Politik. […] Die Attitüde „Information von oben nach unten“ funktioniert nicht mehr. Die Bürger fordern Mitspracherechte und Information auf Augenhöhe. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat in ihrer Antrittsrede als Bundesratspräsidentin formuliert, wie die Politik diese (neuen) Anforderungen erfüllen muss. Es gehe darum „von Anfang an aus Betroffenen wieder Beteiligte“ zu machen. Damit hat sie eine entscheidende Vorbedingung für erfolgreiche Politik formuliert. Information und Beteiligung, das verlangen die Bürgerinnen und Bürger immer lauter.
Dass Projektplanungen auch anders ablaufen können, zeigen zwei Hamburger Großprojekte im Jahr 2007: das eine die Idee einer Living-Bridge, einer an die Ponte Vecchio erinnernden 700 m langen Brücke über die Elbe mit Restaurants, Geschäften und 1.000 Wohnungen, das andere die Frage der baulichen Gestaltung des Domplatzes mitten in der City. In beiden Fällen hatten die Bürger die Möglichkeit, in Online-Foren die Pläne ausgiebig zu diskutieren und eigene Ideen vorzuschlagen. Die Ergebnisse dieser unter einer breiten Beteiligung von Bürgern und Experten sowie einer starken Medienresonanz abgelaufenen Prozesse sind bemerkenswert. Die zunächst als wegweisend bezeichnete Idee der Living-Bridge fand keine Mehrheit und wurde verworfen. Und der Hamburger Domplatz ist nun eine grüne Oase in der Stadtmitte mit den angedeuteten Grundmauern des Doms ganz ohne die ursprünglich vorgesehenen Stahl- und Glasbauten. Positive Beispiele sinnvoller Bürgerbeteiligung statt Bürgerproteste. […] Die Kommunizierbarkeit ist […] der Lackmus-Test in der Projektplanung.
Das bedeutet, dass die Politik zukünftig nicht mehr umhin kommt, sicher zu stellen, dass die Bürgerinnen und Bürger real an dem Projekt beteiligt werden. Das war bei Stuttgart 21 offenbar nicht der Fall. Wer genau hinsieht, stellt nämlich fest, dass die Beteiligung zwar nach allen erforderlichen Regularien, tatsächlich aber nur pro forma abgelaufen ist. Wie anders kann man es verstehen, dass bei den über 10.000 Einsprüchen nur die berücksichtigt wurden, die Änderungen an Einzelheiten des Tiefbahnhofprojektes vorsahen? Alle Einsprüche, die sich gänzlich gegen das Projekt aussprachen oder Alternativen unter Beibehaltung des Kopfbahnhofs vorgeschlagen haben, sind komplett unter den Tisch gefallen.
So werden aus Betroffenen keine Beteiligten, sondern Protestierende, im Fall Stuttgart 21, aber z.B. auch bei Gorleben, gar sog. „Wutprotestanten“. Die Folge dieses Kommunikationsversagens ist fatal: Denn nun spielt es keine Rolle mehr, ob der Protest gerechtfertigt ist oder nicht, die Protestierer mit ihrem Protest recht haben oder nicht. […] Kommunikation ist in diesem Stadium überfordert, die Basis für ein Agieren „nach Plan“ zu ermöglichen. Folgerichtig ist das Stuttgarter Schlichtungsverfahren trotz aller gut gemeinten Informationen via Internet und TV eine reine Schaufensterveranstaltung und Bühne der beteiligten Befürworter und Gegner. Dadurch jedenfalls wird der Konflikt nicht gelöst werden. Protest und Demonstrationen werden nicht nachlassen. Handlungsfreiheit wird daher nur gewonnen, wenn Lösungen gefunden werden, die am Ende dem Widerstand gegen das Projekt nachgeben. […]
Wenn „Politik planbar“ sein soll, müssen Partizipation und Information künftig Standard für solche Projekte von Politik und Wirtschaft werden. […]
In großen und zunehmend wohl auch kleinen Projekten bedeutet das für beide Seiten – Politik wie auch Bürgerinnen und Bürger – einen Gewöhnungsprozess. Der Bürgerfrust über „die da oben“ muss in echte und aktive Beteiligung umgelenkt werden. Auf der Suche nach Akzeptanz und einem Mehr an Legitimation muss die Politik dies ermöglichen und gleichzeitig das Bewusstsein schaffen, dass man sich auf Augenhöhe begegnet. Es mag sein, dass das eine oder andere Politik- oder Wirtschaftsprojekte dadurch nicht so umgesetzt werden kann, wie man sich das ursprünglich gedacht hatte. Aber mit der Bürgerbeteiligung hat man die Legitimation für seine Projekte und damit den notwendigen Handlungsspielraum sichergestellt. Das schafft nicht nur Akzeptanz, sondern macht Politik tatsächlich planbar.
Über die Autoren: Klaus-Peter Johanssen ist Kommunikationsberater und Mitgründer der Berliner Kommunikationsagentur Johanssen + Kretschmer. Bis 1998 war er Kommunikationschef der Shell in Deutschland. Peter Ruhenstroth-Bauer war Stellvertretender Chef des Bundespresseamtes und Staatssekretär bis 2005. Heute ist er Kommunikationsberater und Lehrbeauftragter für Regierungskommunikation (an der Universität Potsdam).It’s PR, stupide!
Das haben Sie in Ihrem Interview auf SPON wirklich gut erkannt: PR ist unglaubwürdig und Werbung ist die ehrliche Form der Kommunikation. Warum? Nun, ich sag’s mal in meinen Worten: Auf jeder Werbung ist der Absender in Form eines Firmenlogos drauf. Das ist offen, das ist ehrlich.
PR dagegen versucht zu argumentieren, Stakeholder zu gewinnen, Dialoge zu führen, Journalisten zu informieren. Da kann ja niemand kontrollieren, was der Journalist aus einer Botschaft macht.
Ganz klar: Jeder hat diese offenen und ehrlichen Anzeigen dieser sympathischen Firma aus UK vor Augen. „Beyond Petroleum“ erklärten Sie uns, wieso BP alles für die Umwelt und die Zukunft unseres Globus tue. Kein Journalist musste kritisch nachfragen. Kein Argument konnte widerlegt werden. Schließlich zahlte BP ja offen und ehrlich für den Anzeigenraum. Dabei war es nach diversen Umwelthavarien in den USA schon zu Beginn der Amtszeit des jetzigen CEO Tony Hayward ein offenes Geheimnis, dass BP Gewinne zu Lasten der Sicherheit und der Umwelt maximiert hatte. Haywards hektische Versuche, dem entgegenzuwirken blieben wirkungslos. Anders als seine Werbung. Ganz offen und ganz ehrlich machte sie deutlich, dass BP alles tut, um der Umwelt nicht zu schaden.
Oder habe ich Sie da missverstanden, Herr Jung? War das insgeheim der Appell an Unternehmen und Agenturen, künftig Werbeanzeigen und TV-Spots zu entwickeln, in denen BP seine zig Fehlversuche beim Schließen des Bohrlochs darstellt und berichtet, warum man jeweils gescheitert ist? Was es der Ruf nach ganzseitigen Dialoganzeigen, in denen Toyota – ganz glaubwürdig – im Streitgespräch mit Verbraucherschützern sich der kritischen Frage stellt, was man hätte anders machen müssen?
Nein, am Ende war es alles nur PR. PR verfolgt Interessen und liefert Argumente, auch strittige Argumente. Holger Jung als Inhaber einer der größten Werbeagenturen hat ein Interesse: Dem Trend der Unternehmen immer weniger Budget in Werbung und immer mehr Budget in Dialog, relevanten Content, PR oder Stakeholder-Management zu investieren entgegenzutreten.
So ist das Interview zweierlei: Erstens der Beweis, dass auch Werber PR machen, wenn sie nachhaltige Wirkung erzielen und Einstellungen ändern wollen. Zweitens die Erkenntnis, dass glaubwürdige PR mehr ist als Effekthascherei und reines Negative Campaigning.
Forum mortale für die GEZ?
Gastbeitrag: Alexander Lang (J+K)
Erst im Dezember wollte die GEZ Internetnutzer zur Kasse bitten. Die Empörung in der netzaffinen Gemeinde über das Verhalten der Behörde war groß. Nun soll es ein eigenes Forum wieder richten: www.gez-meine-meinung.de. Kritischer Austausch und rege Diskussionen sollen hier über die GEZ und die Rundfunkgebührenpflicht stattfinden. Ein konstruktiver Dialog auf Augenhöhe mit jungen, auch kritischen Internetusern. Tatsächlich findet eine sachliche Diskussion aber kaum statt. Stattdessen gibt es im Forum Kritik und im Netz Hohn. Warum geht der Plan nicht auf? Behördliche Öffnungszeiten und gefühlt 30 Moderatoren, die das Forum konktrollieren reichen als Erklärung nicht aus. Auch nicht die Tatsache, dass ungenehme Äußerungen der Nettiquette zum Opfer fallen. Insgesamt entsteht ein eher hilfloses Bild der Behörde.
Der eigentliche Grund liegt in der erfolgsentscheidenen Frage „Wer spricht im Forum mit wem?“
Grundsätzlich gilt: sind sich in einem Forum alle Teilnehmer einig, ist das schlecht. Wirklich unangenehm wird es, wenn Einigkeit in der Abneigung besteht. Das Forum wird so zur Anklagebank. Statt eines konstruktiven Diskurses entsteht ein sich selbst verstärkender Sturm der Entrüstung, gegen den eine Organisation mit ihren Botschaften nicht mehr durchdringt. Im Idealfall herrscht in einem Forum ein heterogenes Meinungsbild: engagierte Fürsprecher und versierte Kritiker ringen um die besten Argumente. Durch die generische Aufgabe als Gebühreneinzugszentrale hat die GEZ allerdings denkbar schlechte Vorraussetzungen für einen ausgeglichenen Diskurs – sie verfügt über deutlich mehr Kritiker als Fans. Und ihr Verhalten gegenüber den Internetusern hat ihren Stand erschwert. So steht die GEZ mit ihren 5 Mitarbeiter-Blogs und ihren Moderatoren im eigenen Forum recht alleine dar.
Das führt zu einem weiteren entscheidenden Punkt, der Rolle der Organisation selbst. Tritt sie im Forum zurückhaltend auf und stellt lediglich die Bühne für die Debatte, unterstützt sie diese glaubwürdig. Muss sie allerdings selbst agieren, wird es riskant. Denn in diesem Punkt ist die angesprochene Nutzergemeinde besonders empfindlich.
Die GEZ wird mit ihrem Forum ihr Image nicht verbessern können. Ein wenig Dialogbereitschaft und ein paar Mitarbeiter-Blogs reißen keine Mauern ein. Aber ist das alles deshalb ein PR-Disaster? Nein, denn schlechter wird ihr Ruf dadurch auch nicht. Die Kritik wird sich auf längere Sicht totlaufen, die kritische Blogger-Gemeinde sich anderen Themen zuwenden. Am Ende wird das Forum wahrscheinlich ein Datenfriedhof im Netz sein, und damit eine Fehlinvestition – nicht mehr und nicht weniger.
Die Stille nach dem Crash
Das neue Jahr bietet die einmalige Chance, Lehren aus der Wirtschaftskrise zu ziehen. Doch die Politik macht weiter wie bisher – Artikel aus DIE ZEIT für ÖSTERREICH
Images Schweigen im Schnee: Wo die politische Diskussion fehlt, bleibt auch die Öffentlichkeit fern. Doch gerade die verlangt in Zeiten tief greifender globaler Veränderungen nach Antworten Was für eine Erfolgsstory: 1979 ließ sich Lee Iacocca, Vorstand des maroden US-amerikanischen Autobauers Chrysler, sein Jahresgehalt auf einen Dollar kürzen. Auf eigenen Wunsch. Zuvor hatte der Manager vom US-Kongress eine Kreditgarantie von 1,5 Milliarden Dollar gefordert und auch bekommen. Ohne diese Garantie wäre Chrysler nicht erst im März 2009, sondern schon 30 Jahre zuvor pleite gegangen. Iacocca setzte auf einen harten Restrukturierungskurs, kündigte Arbeitnehmer, lancierte aber gleichzeitig eine neue, erfolgreiche Modellkategorie: den Minivan. Nach einigen Jahren war Chrysler saniert, und Iacocca begann, sich ein standesgemäßes Gehalt zu gönnen. Seinem Heldenstatus konnte die üppige Apanage nichts anhaben. Mitte der achtziger Jahre huldigte ihm das Time Magazine als einem Manager, der »von der Elite genauso bewundert wurde wie von der Arbeiterklasse«.
Im Schatten einer globalen Wirtschafts- und Finanzkrise hat sich die blinde Verehrung von Managern, Bankern und Finanzjongleuren in blanken Zorn verwandelt. Lloyd Blankfein, Chef der US-Investmentbank Goldman Sachs, gab sich in einem Interview im Herbst 2009 keinen Illusionen hin: »Die Leute würden vor Begeisterung johlen, wenn ich mir die Pulsadern aufschneiden würde.« Was ist da in der Zwischenzeit bloß geschehen? Was können wir daraus lernen, dass manche Führungskräfte und das »einfache« Volk mittlerweile in verschiedenen Welten leben? Und vor allem: Was bedeutet das für die Zukunft? Das sind nur einige jener Fragen, auf die 40 Vordenker aus Österreich, Deutschland und der Schweiz auf Einladung der ZEIT und des Wiener Beratungsunternehmens Kovar&Köppl Antworten gesucht haben. Ihre Beiträge bilden – zum mittlerweile vierten Mal – die Grundlage für eine Analyse der politischen und gesellschaftlichen Arena, aus der sich jene Problemstellungen herauslesen lassen, die in den nächsten Jahren die politische und soziale Agenda bestimmen werden. Die Kernaussage: Die Politik ist gefordert, mehr denn je. Gerade weil es den Handelnden offenbar immer schwerer fällt, mit den rasanten Veränderungen in Wirtschaft und Wissenschaft Schritt zu halten und dem zunehmenden Auseinanderdriften der Gesellschaft entgegenzuwirken.
So konstatiert der Wiener Strategieberater Gerald Karner, dass sich die Politik in gefährlichem Ausmaß vor notwendigen Eingriffen gedrückt hat. Abhängig vom Verlauf der Wirtschaftskrise könne dies sogar zu »erheblichen sozialen Verwerfungen bis hin zu Unruhen« führen. Für wahrscheinlicher hält Karner es aber, dass dieser Reformdruck in Richtung EU weitergegeben wird. Und dies wiederum führe zu einer Radikalisierung der politischen Landschaft in den kleineren EU-Nationen wie Österreich, weil »für zumindest kurzfristig als unangenehm empfundene Reformen die EU verantwortlich gemacht und die eigene Unfähigkeit damit bemäntelt würde«.
Die Große Koalition wird zum politischen Dauerphänomen
Ein distanziertes Verhältnis zur Europäischen Union ist es auch, das die Politik von Bundeskanzler Werner Faymann prägt. Sei es mit seiner fatalen Strategie, den Schwenk der Sozialdemokratie hin zu einer »kritischen« Europapolitik via Leserbrief in der Kronen Zeitung kundzutun. Sei es angesichts des protokollarischen Fauxpas, im Oktober nicht zur Eröffnung der Vertretung der Europäischen Union in Wien zu erscheinen. Mittlerweile hat der SPÖ-Vorsitzende diese Entscheidung nicht nur öffentlich bedauert, er versucht seiner Politik auch ein europafreundlicheres Gepräge zu geben. »In der Welt kann man gemeinsam sehr viel bewegen, in Europa einiges und in der Innenpolitik wenig«, erklärte Faymann Mitte Dezember. Doch wie lange wird diese Erkenntnis angesichts populistischer Anti-EU-Slogans der politischen Rechten währen? Vermutlich nur bis zum Beginn des nächsten Wahlkampfs. Doch die Auswirkungen der globalen Wirtschaftskrise erfordern mehr als nur Lippenbekenntnisse. Der deutsche Kommunikationsexperte Heiko Kretschmer fordert als Konsequenz aus der Finanzkrise vielmehr einen Metadiskurs: »Welche Fehler wurden gemacht? Wer ist seiner Verantwortung nicht nachgekommen? Wie muss Verantwortung in dieser Gesellschaft überhaupt aussehen?« Kretschmer entwickelt drei mögliche Szenarien. Im ersten Fall orientieren sich die Unternehmen künftig an den Stakeholdern, wie etwa Lieferanten und Mitarbeitern, als auch den Aktionären, den Shareholdern. Politisch gesehen, würden Regulierung und Selbstverpflichtung als notwendige Bestandteile einer modernen Ordnung verstanden. Es könne sich aber auch die Erkenntnis durchsetzen, dass Krisenbranchen ohne dauerhafte Interventionen nicht auskommen; dann werde die Politik zum dauerhaften Korrektiv. Oder drittens kehre das ordnungspolitische Laisser-faire der vergangenen knapp 30 Jahre zurück. Dies, meint Kretschmer, würde »zum Preis breiten Vertrauensverlustes in alle Institutionen geschehen und eine konflikthaftere Entwicklung unserer Gesellschaft und Politik zur Folge haben«. Die Atomisierung in der politischen Artikulation, etwa in Form der Piratenpartei, führe zur Großen Koalition als Dauerphänomen.
»Wir brauchen nicht mehr, sondern eine bessere Regulierung«
Der Schweizer Publizist Roger de Weck unterscheidet in seinem Essay Nach der Krise. Gibt es einen anderen Kapitalismus? zwischen staatlicher Regulierung und Intervention. Erst, so de Weck, sei massiv dereguliert im Zuge der Krise dann aber massiv interveniert worden. Regulieren, um das Intervenieren zu vermeiden, lautet seine Schlussfolgerung. Dem stimmt Peter Koren von der österreichischen Industriellenvereinigung zu. »Der Krise lag ein grundsätzliches Versagen des Staates zugrunde. Die Kontrollen und Regulierungen haben nicht funktioniert; wir brauchen aber nicht mehr, sondern bessere Regulierung.« Würden daraus nicht die richtigen Lehren gezogen werden, »droht eine Prolongierung des wirtschaftlichen Abschwungs, verbunden mit einem massiven Wohlstands- und Vertrauensverlust weiter Bevölkerungsschichten«. Ein Paradebeispiel bietet die Beinahe-Pleite der Hypo Alpe Adria: Alle, auf deren Reisepass »Republik Österreich« steht, bezahlen es teuer, dass die Politik ihre Kontrollfunktion vernachlässigt hat. Wie viele solcher Fehler verträgt das Land noch?
Zugespitzt läuft die Diskussion auf die Frage hinaus, wer die Gesetze des Handelns diktiert: die Politik oder die Ökonomie. Für Strategieberater Gerald Karner ist dieser Zielkonflikt bereits entschieden. Die Politik könne »die durch die Krise eröffnete Chance, ihr gesellschaftlich-gestalterisches Primat über die Wirtschaft wiederzuerlangen und zu festigen, nicht nachhaltig wahrnehmen«. Ausnahmen würden, wenn überhaupt, die USA, Frankreich und Großbritannien bilden. Die Schuld daran sieht er jedoch nicht nur bei maßlosen Bankmanagern. Zu sehr sei die Politik in ihre taktisch-parteipolitischen Denkmuster verstrickt: »Machterhalt für Institutionen und sogar einzelne Repräsentanten um beinahe jeden Preis prägen das politische Handeln.«
Für Claus Faber, Ökonom der Arbeiterkammer Oberösterreich, liegt das vor allem an den kurzfristigen Zielen, denen die Politik hinterherhechelt: Wer sich in kurzen Abständen vor dem Wahlvolk, Massenmedien oder einflussreichen Bedenkenträgern verantworten müsse, flicke eben sein Hemd auf Kosten des Rocks und kümmere sich erst nachher darum, dass es kalt sei: »Dies ist zwar nicht nachhaltig, macht aber politisch leider Sinn.« Zwar weist Faber auf die Schwierigkeiten hin, auf internationaler Ebene kollektiv zu handeln, einig zeigen sich jedoch alle Befragten der Arena-Analyse in einem Punkt: Nur ein koordiniertes internationales Vorgehen kann der Politik wieder entsprechendes Gewicht verleihen.
Darüber hinaus geht es aber vor allem darum, die Auswirkungen der Wirtschaftskrise zu mildern. Rudolf Scholten, Vorstand der Österreichischen Kontrollbank, sieht darin gar einen Prüfstein für die Demokratien: »Die gleichen Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, werden aufgrund gekürzter Sozialbudgets auch die Konsequenzen zu tragen haben. Das wird die Verteilungsdiskussion massiv anheizen und damit die Debatte darüber, ob wir mit systemisch ziemlich extremen Situationen umgehen können.«
Nicht nur weniger Geld für Sozialleistungen werde es geben, hält Karin Frick vom Gottlieb-Duttweiler-Institut fest, der Westen müsse sich prinzipiell an ein geringeres Wirtschaftswachstum gewöhnen. Der Leiterin der Schweizer Denkfabrik stellt sich generell die Frage, welche Sektoren in Europa künftig für Wohlstand sorgen werden: Auf bisherige Kern-Branchen wie den Automobilbau könne man nicht mehr zählen. Im Gegenzug würden aufblühende Wirtschaftszweige wie der Kulturtourismus das Wohlstandsniveau nicht garantieren.
Aber auch ein offensives Krisenmanagement ist gefragt. Der CDU-nahe Politikberater Peter Radunski plädiert dafür, dass Politiker die Wähler auf Krisen besser vorbereiten müssen. Andernfalls erwartet er »ernste innere Auseinandersetzungen«. Sein Ausweg, auf den auch andere Befragte hinweisen: Wachstum müsse als Fortschrittsfaktor gegenüber qualitativen Verbesserungen des Lebens zurücktreten. Dies könnte natürlich als eine Möglichkeit für Politiker missverstanden werden, die schlechte wirtschaftliche Performance ihrer Staaten zu camouflieren. Genau dies wurde Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy Anfang 2008 nachgesagt, als er ein Team unter Führung der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und Amartya Sen beauftragte, einen neuen Wohlstandsindikator zu entwickeln: Dieser solle neben der Produktivität auch Faktoren wie die Nachhaltigkeit einer Volkswirtschaft, das Einkommen, die Lebenserwartung und Freizeit mit einbeziehen. Sprich: auch erfassen, ob die Menschen glücklich seien.
»Happiness is a warm baguette«, spottete der Economist damals, im goldenen Zeitalter vor der Krise. Doch als die Kommission im September 2009 ihren Bericht vorlegte, verebbte die Kritik. Joseph Stiglitz konnte die im Vergleich zu Europa lange höheren Wachstumsraten der USA bereits als Ergebnis der Überschuldung der Amerikaner enttarnen. Die Ökonomen sollten, so empfahlen die Nobelpreisträger weiter, »Anstrengungen unternehmen, um Maßeinheiten für soziale Verbindungen, politische Mitbestimmung und Sicherheit zu entwickeln«. Der Generalsekretär der OECD, Angel Gurría, erklärte darüber hinaus, die Organisation, zu der auch die USA gehören, wolle eine führende Rolle dabei übernehmen, einen neuen Wohlstandsindikator abseits von reinen Wachstumsindikatoren zu entwickeln.
Während also die Experten unvoreingenommen und auf breiter Basis die Herausforderungen der Zukunft diskutieren und Lösungsmodelle anbieten, scheint der Politik der Wille zu einer offenen, interdisziplinären Diskussion abhanden gekommen zu sein. Politikberater Hanns Kratzer hält in seinem Beitrag zur Arena-Analyse fest: »Erst wenn vermittelt werden kann, dass es sich auch individuell lohnt, den Egoismus ein wenig hintanzustellen und größere Lösungsentwürfe zu entwickeln, wird die Crew des Raumschiffs Erde den Herausforderungen des Jahres 2010 begegnen können.«
Antworten für die Arena-Analyse 2010 kamen von:
Hildegard Aichberger, Geschäftsführerin des World Wildlife Fund
Wilhelm Bründlmayer, Weingut Bründlmayer
Erhard Busek, Institut für den Donauraum und Mitteleuropa und ehemaliger Österreichischer Vizekanzler
Michael Chalupka, Direktor der Diakonie Österreich
Knut Consemüller, Vorsitzender des Rates für Forschung und Technologieentwicklung
Thomas Czypionka, Institut für Höhere Studien (IHS)
Claus Faber, Referent an der Arbeiterkammer OÖ
Heiner Flassbeck, Chef-Volkswirt der UNCTAD
Karin Frick, Gottlieb-Duttweiler-Institut
Josef Fröhlich, Austrian Institute of Technology
Dietmar Halper, Direktor der Politischen Akademie der ÖVP
Hans-Olaf Henkel, ehemaliger Vorsitzender des Bundesverbands der Deutschen Industrie
Clemens Jabloner, Präsident des Österreichischen Verwaltungsgerichtshofs
Gerald Karner, Strategie- und Organisationsberater
Claudia Kemfert, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland
Peter Koren, stv. Generalsekretär der Industriellenvereinigung
Hanns Kratzer, PERI Consulting
Heiko Kretschmer, Johannsen+Kretschmer Strategische Kommunikation
Bernhard Marckhgott, Wiener Börse AG
Viola Neu, Konrad Adenauer-Stiftung
Anton Pelinka, Central European University
Volker Perthes, Stiftung Wissenschaft und Politik
Ronald Pichler, GlaxoSmithKline
Peter Radunski, Publicis Deutschland
Georg Rebernig, Umweltbundesamt Wien
Martin Säckl, European Affairs Consulting Group
Andreas Salcher, Andreas Salcher Projects
René Schmidpeter, Bertelsmann Stiftung
Rudolf Scholten, Oesterreischische Kontrollbank AG
Christian Tomuschat, Humboldt-Universität Berlin
Rudolf Trauner, Wirtschaftskammer OÖ
Herbert Tumpel, Arbeiterkammer
Jürgen Turek, Centrum für angewandte Politikforschung
Helmut Wachowiak, Internationale Fachhochschule Bad Honnef
Manfried Welan, ehemaliger Rektor der Universität für Bodenkultur Wien
Rainer Wieltsch, Aufsichtsratsvorsitzender OMV
Ole Wintermann, Bertelsmann Stiftung
Hans Zeger, ARGE Daten
Wolf-Dieter Zumpfort, TUI AG und ehemaliges Mitglied des Deutschen Bundestages
Der Niedergang der Masterstory
Berlin (7.10.09): Die Bundestagswahlen 2009 – ein Erdbeben oder doch nur der Wechsel des Koalitionspartners? War das nun die Schicksalswahl, die Richtungsentscheidung für Deutschland? Oder ist es im Großen und Ganzen der Anfang eines Weiter So? (Mein Kommentar auf www.glocalist.com)
Diese Fragen wird man differenziert beantworten müssen. 2009 steht die Welt, Europa und Deutschland vor dem Scherbenhaufen der Euphorie der letzten anderthalb Jahrzehnte der Deregulierung. Dieses ist nicht nur die größte Krise des Finanzsektors seit 1929. Dieses ist auch nicht nur die erste richtig globale Wirtschaftskrise seit dem Ende des zweiten Weltkrieges. Dieses ist auch der Ende eines eigenen ideologischen Zyklus‘.
Um mit dem Obama Berater und Psychiater Drew Westen zu sprechen: Die Masterstory der letzten fast drei Jahrzehnte, die mit Ronald Reagan in den USA ihren Anfang fand, trägt nicht mehr. Drew Westen versteht unter Masterstory eine Art Narrativ, das politisch ideologisch, aber auch kulturell hegemonial wirkt und damit einen Rahmen bildet, in dem sich alle politischen Akteure bewegen müssen, wollen sie mehrheitsfähig in einer Gesellschaft sein. Selten ergibt sich die historische Chance, eine solche Masterstory durch eine neue Masterstory abzulösen. Denn dieses setzt eine Glaubwürdigkeits- oder zumindest Vertrauenskrise des bestehenden Rahmens voraus.
Diese Glaubwürdigkeitskrise ergibt sich nicht allein aus dem Zusammenbruch der Finanzmärkte und der dem zugrunde liegenden Vertrauensdefizit der Banken untereinander. Diese Glaubwürdigkeitskrise hat die westlichen Gesellschaften viel tiefer erfasst. In den letzten Monaten konnte man oftmals die Überraschung der Wahlforscher hören, dass die Krise noch gar nicht in den Köpfen der Menschen angekommen sei.
Das Gegenteil ist richtig. Seit fast zehn Jahren wachsen die Zweifel in der Bevölkerung ob der moralischen Integrität unserer Eliten. Es hat sich in vielen Köpfen festgebrannt, dass um die Jahrtausendwende junge Manager irrsinnige Summen mit Unternehmen am Neuen Markt verdienen konnten, die nicht einen Tag lang schwarze Zahlen schrieben. Die Menschen haben ein feines Gespür für Eliten, die sich doppeldeutig verhalten: Auf der einen Seite Personal abbauen, auf der anderen Seite dem Management explodierende Boni zahlen.
Auf der einen Seite Leistungen kürzen, auf der anderen Seite auf Dienstwagen-Privilegien pochen. Und sie reagieren seit Jahren ambivalent darauf: Man macht mit und achtet bei der Steuererklärung auf den eigenen Vorteil. Man zieht sich irritiert und angewidert von der Politik zurück. 2009 waren die Nichtwähler bei der Bundestagswahl die stärkste Gruppierung. Ein Phänomen, das man von Landtags- und Kommunalwahlen kennt, das aber bei Bundestagswahlen neu ist. Es zeigt sich daher in vielen vertieften Interviews, dass diese Krise nicht überraschend kommt, sondern ihr eine gewisse Logik zugewiesen wird.
Diese Bundestagswahl und dieses Krisenjahr 2009 stehen also für den Niedergang der alten Masterstory. Aber in diesem Jahr entstand keine neue Masterstory. Keiner der politischen Akteure hat eine Erklärung angeboten. Keiner der politischen Akteure hat den Versuch unternommen, ein neues Narrativ zu formulieren. Eine kleine Ausnahme bildeten die Grünen, die mit ihrem Green New Deal ein in sich geschlossenes Konzept der Post-Krise anboten. Allerdings fehlte ihnen die kommunikative Durchschlagskraft.
So erleben wir aktuell ein Paradoxon: Die Krise schreit nach neuen Leitlinien für Gesellschaften und Politiken in einer globalen Welt. Die Mehrheit der Deutschen stimmen gegenwärtig in vielen Fragestellungen nicht mit den Theorien der liberalen Märkte überein, sie befürworten einen agierenden Staat, sie stimmen sozialen Standards wie Mindestlöhnen zu, sie sind für staatliche Eingriffe in den Energiesektor und vieles mehr.
Doch zugleich kann die SPD, als klassischer Vertreter solcher Positionen, das Vertrauen der Menschen nicht gewinnen. Wie tiefgreifend diese Krise ist, zeigt der Umstand dass weder ein überaus engagierter Wahlkampf des Spitzenkandidaten und seine für viele Betrachter überraschend sympathischen Auftritte im Fernsehen, noch der radikale Personalwechsel am Schwielowsee 12 Monate vor den Wahlen (damals sah Emnid die SPD noch bei 26 Prozent) eine Verbesserung der Lage der SPD brachten.
Die Kanzlerin scheint diese Krise der SPD messerscharf analysiert zu haben. Ihr Versuch, der schwarzgelben Regierung ein Weiter so und damit einen „sozialdemokratischen“ Kurs zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise zu verordnen, ist geeignet, die SPD in eine fortdauernde Selbstbeschäftigung zu führen. Denn fehlt das schwarzgelbe Schreckensbild, fehlt der Einigungsdruck von außen. Daher sollte die SPD einen Blick in die jüngere Parteiengeschichte in Europa werfen. Da wird sie Belege dafür finden, dass auch traditionsreiche Parteien keine Bestandsgarantien haben. Wer seit der Machtübernahme 1998 unter Gerhard Schröder Tag für Tag durchschnittlich 2.500 Wähler verloren hat, der muss die eigene Krise als existentielle Bedrohung verstehen.
CSR 2.0 – Ein Weg aus der Krise
Alles schaut gebannt auf Vater Staat. Er soll die Banken retten, die Unternehmen stützen und natürlich die Wirtschaft insgesamt vor einem Abschwung bewahren. Aber gerade jetzt sind auch andere Akteure gefordert, ihren Teil der gesellschaftlichen Verantwortung wahrzunehmen. Dies soll kein Appell an Moral und Ethik der Manager sein. Aber sie sollten das Thema gesellschaftliche Verantwortung, die sogenannte Corporate Social Responsibility (CSR), den Gutmenschen aus der Hand nehmen und endlich als das begreifen, was es ist: eine Top-Management-Aufgabe.
Das Vertrauen der Bürger in die deutsche und globale Wirtschaft, in Banken und die Wirtschaftseliten ist durch die Finanzkrise zutiefst erschüttert. Dieser Vertrauensverlust hat zum Ausmaß der Krise erheblich beigetragen. Zurückgewinnen werden Banken und Unternehmen das Vertrauen aber nur, wenn sie erkennen, dass gesellschaftliche Verantwortung Teil eines Businessmodells sein muss. Nur wenn der Wert ethischen Handelns auch in seiner ganzen Dimension verstanden wird, wenn es eine neue Generation gesellschaftlicher Verantwortung gibt, kann diese helfen, aus der Krise herauszuführen. Nicht weil sie moralisch oder anständig ist – sondern weil sie ökonomischen Mehrwert liefert. Bisher galt CSR vor allem als Schmuck, mit dem Vorstände ihr Unternehmen behängten, solange die Gewinne sprudelten. Banken präsentierten ihre CSR, um zu zeigen, dass sie auch ethisch handeln können. Die Wahrheit indes sah anders aus. Oder hat auch nur ein Banker aus eigenem Verantwortungsbewusstsein auf ein hochriskantes Geschäftsmodell verzichtet? Diese Art von CSR ist tot!
Die Generation CSR 2.0 jedoch lebt und hat Zukunft. CSR 2.0 ist ein Managementkonzept, das die Unternehmensspitze wahrnehmen muss. Der angewandte Mechanismus der Sozialpartnerschaft kann das Instrument sein, um sich den Herausforderungen erfolgreich zu stellen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die soziale Frage partnerschaftlich zwischen Gewerkschaften und Unternehmen verhandelt. Eine Fortentwicklung dieser Sozialpartnerschaft ist nun gefordert. Alle blicken auf den Staat. Doch allein mit staatlicher Regulierung lassen sich die zentralen Herausforderungen nicht bewältigen. Um Vertrauen zurückzugewinnen, müssen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik den Mechanismus CSR 2.0 nutzen. Dann greift auch die Selbstkontrolle – und verantwortungslose Geschäfte, die schnelle Gewinne versprechen, gehören der Vergangenheit an.