Politik entdeckt Netzpolitik
Seit Donnerstag ist es sicher: Der Bundestag wird eine neue Enquête-Kommission einsetzen. Darauf haben sich FDP und Union verständigt – offenbar auf Betreiben der CDU. Die Enquête-Kommission soll sich mit dem Thema „Internet und digitale Gesellschaft“ beschäftigen. Welche Regeln braucht das globale Netz? Welche Folgen hat der Ausbau des Internets für unsere Gesellschaft? Wie verhindert man nach der sozialen Spaltung auch eine Spaltung beim Zugang zu Informationen? Wie verhindert man, dass Unternehmen im Internet nicht der zunehmenden Versuchung erliegen, transparente Absenderschaften zu verschleiern oder Kommunikation und ihre Absender im Netz nicht offenzulegen? Aber auch: Wie kann im Netz der Zukunft die Balance zwischen Security und Privacy, zwischen Datenschutz und Verbrechensabwehr hergestellt und gehalten werden. Und schließlich: Wie müssen sich intellectual property rights verändern, damit sie berechtigte Interessen schützen und nicht jeden User gleich kriminalisieren?
Mit anderen Worten: Die Enquête-Kommission hat richtig viel Arbeit vor sich. Und der Handlungsdruck ist immens. Man darf gespannt sein, denn Enquête-Kommissionen arbeiten in aller Regel langsam. Schnelle Ergebnisse sind nicht zu vermuten. Die Grünen rufen gar zur Ausweitung des Auftrags der Enquête-Kommission auf: „Aus Sicht der Grünen wäre es wünschenswert, wenn nicht nur eine geringe Zahl von Abgeordneten und Sachverständigen, sondern möglichst allen Interessierten die Möglichkeit gegeben wird, sich an den für unsere Gesellschaft so wichtigen netzpolitischen Debatten zu beteiligen. Die einzurichtende Kommission bietet uns die einmalige Chance, nicht nur neue Modelle der E-Partizipation und Formen der Transzparenz zu diskutieren, sondern sie zugleich im Verlauf der Enquête, im politischen Alltag, zu praktizieren. Wir Grüne werden dafür sorgen, das es eine breite zivilgesellschaftliche Begleitung der Arbeit dieser Enquête-Netzpolitik geben wird.“
Insofern bleibt offen, ob die Ergebnisse der Enquête-Kommission rechtzeitig kommen, denn längst rüsten sich die politischen Organisationen für die netzpolitische Debatte. Die SPD lässt ihren Internetbeirat in neuem Gewande wieder auferstehen. Das BMI hat sich auch einen Beirat aufgebaut. Die Debatte um Freiheit, Sanktionen, Datenschutz, Persönlichkeitsrechte, Intellectual Property Rights usw. wird schon bald in neuer Breite geführt werden – da wartet niemand auf die Ergebnisse der Enquête-Kommission.
Interessanterweise widmet sich auch der Deutsche Rat für Public Relations gerade einer neuen Richtlinie zum Thema Online-Kommunikation. Nachdem in den ersten Jahren technologische Innovationen im Vordergrund neuer Entwicklungen in der Netzwelt standen, so rücken jetzt mehr und mehr soziale Innovationen in den Fokus.
Fehlstart einer gelungenen Startkommunikation?
Nun ist sie eine gute Woche im Amt, die neue Bundesregierung . Die Regierungsbildung war rekordverdächtig: Koalitionsverhandlungen im Akkord, rasche Zustimmung in den Parteien und schließlich eine fast reibungslose Wahl der Kanzlerin. Zeit, ein erstes Fazit zu ziehen:
Die schwarzgelbe Koalition spürte strammen Gegenwind: Bei der Wahl der Bundeskanzlerin fehlten 9 von 332 Stimmen. Knapp 3% der Koalitionsabgeordneten versagten ihre Zustimmung, was verglichen mit ihren Vorgängern kein schlechtes Ergebnis ist. Dennoch konstatieren die Leitmedien „Merkels Makel-Start„, eine geschwächte Kanzlerin oder auch nur eine Schlappe für die neue Koalition. Wieso das? Vor Kurzem galt diese Koaliton doch noch als Hoffnungsträger vieler Journalisten.
Die Stimmung war in den Tagen zuvor gekippt . Immer lauter beschwerten sich die Journalisten in Berlin darüber, dass sie Teil einer (gelungenen?) Inszenierung von CDU/CSU und FDP wurden. Am Anfang dieser Inszenierung betonten die drei Koalitionspartner, dies sei eine Wunschkoalition, die nun ganz schnell vereinbart werden könnte. Diese lauten Bekenntnisse zur Koalition übertönten alle kritischen Rückfragen über die vorhandenen Gegensätze zwischen den Verhandlungspartnern. Der zweite Schritt war dann eine geschickte Kommunikationsstrecke nach einander gesetzter Positivbotschaften. Dabei wurden gezielt die Themen nach vorne gestellt, die sich in den vergangenen Monaten als Mühlsteine am Hals der SPD erwiesen hatten.
So betrifft die Erhöhung des Schonvermögens zwar nur 0,5% der Hartz IV Empfänger. Doch dieser Schritt der Koalition sendete ein klares Signal aus: Lebensleistungen der Menschen werden wieder geachtet und anerkannt. Rotgrün hatte noch wie mit dem Rasenmäher alle Betroffenen gleichbehandelt und dabei übersehen, dass sich im eigenen Klientel das Gefühl aufbaute, individuelle Biografien würden nicht mehr geachtet. Millionenfache Stimmenthaltung war das Ergebnis.
Danach nahm sich Schwarzgelb die Internetgesetzgebung vor. Die noch von der CDU/CSU vorangetriebene Internetzensur mittels Stop-Schild wurde mal eben über Bord geworfen und ein neuer Umgang mit dem Thema Datenschutz, Sicherheit und Internetrechte versprochen – fast so als wäre da die Piratenpartei stiller Teilhaber der Regierungskoalition. Dabei waren die Piratenpartei gerade erst wie Phönix aus der Asche entstanden: Insgesamt 2% bei der Bundestagswahl, ganze 13% der Erstwähler – zu Lasten der SPD.
Am Ende der Koalitionsverhandlungen wurde dann aber doch noch eine Woche laut gestritten. Die Koalitionspartner mussten gegensätzliche Versprechen zu Schuldenabbau und Steuersenkungen unter einen Hut bringen. Doch viele Journalisten hatten den Eindruck, die Koalition habe sich längst geeinigt und der Streit sei nur noch für das Publikum. Jede Seite müsse zeigen, dass sie hart für die eigenen Klientel gerungen habe. Spätestens hier vermuteten viele Journalisten, sie seien Teil einer Kommunikation der kommenden Regierung.
Der gefundene Konflikt spricht dafür, denn beide Seiten mussten Fehler lassen: Die Neuverschuldung steigt, die versprochenen 40 Mrd. Steuergeschenke werden auch nur zur Hälfte realisiert.
Zweifelsohne – für Journalisten waren das langweilige und zudem noch oppositionslose Wochen. Die Opposition ist offenbar mehr mit sich selbst als mit Kritik an der neuen Bundesregierung beschäftigt: Die Grünen streiten, ob Jamaika und Schwarzgrün nur Notnägel oder weitere Machtoptionen sind. Die Linkspartei zerreibt sich zwischen den Länderorganisationen, die von anpassungsfähiger Realpolitik bis Fundamentalopposition alles für möglich halten. Und die SPD steht mitten in einem tiefgreifenden personellen und inhaltlichen Umbruch. Da kann es nicht wundern, wenn die neue Regierung in den kommenden Wochen und Monaten wenig Gegenwind bekommen wird.
Spannend kann es erst nach der NRW-Wahl werden: Denn dann muss die Bundesregierung Klartext reden, was aus Haushaltskonsolidierung und aus der Steuerreform wird. Bis dahin muss die Opposition ihre Handlungsfähigkeit wieder hergestellt haben.