Wenn Kreativität unerträglich wird
Am Jahresende wird zurück geblickt. Horizont kürt die Werber des Jahres, die Horizont.net Leser ihre Kreation des Jahres. Der Gewinner heißt jedesmal Heimat (Glückwunsch!).
Doch 2009 war auch ein Jahr der inhaltlichen Debatte um die Zukunft der Kreativbranche. Losgetreten hatte diese Debatte der inzwischen zurück getretene ADC Vorsitzende Amir Kassaie. Kassaie wies darauf hin, dass Werbung mit der Veränderung der Kommunikationslandschaft untergehen wird, wenn sie es nicht versteht, einen Paradigmenwechsel vorzunehmen. Nicht Kreativität als Selbstzweck, sondern Relevanz der Botschaft müsse im Zentrum der Kommunikation stehen. Die versammelte Werbewirtschaft ließ nicht lange auf sich warten und schlug zurück. Doch die Angst vor Veränderung kann die Veränderung selbst nicht aufhalten.
Dabei ist es doch gar nicht so schwer. Coca Cola macht es vor. Drei Jugendliche werden auf Weltreise geschickt, um herauszufinden, was Menschen glücklich macht. Ihre Erfahrungen tauschen sie interaktiv im Social Web mit anderen Jugendlichen aus. Oder Starbucks mit dem Starbucksloveproject. Starbucks schaffte es einen globalen Flashmob zu organisieren: Musiker aus 124 verschiedenen Ländern haben sich via Webcam zusammengeschaltet, um das Beatles-Lied „All You Need is Love“ zu performen. Den weltweiten Chor konnten User live verfolgen. Nach dem Livekonzert sind jetzt Internetnutzer aufgerufen, ihre Version des Songs beizusteuern und als Video auf die Seite zu laden. Für jeden Beitrag stiftet das Unternehmen 50 Cent an The Global Fund für Aidshilfe in Afrika.
Doch immer noch beherrscht l’art pour l’art Kommunikation die Branche. Hauptsache Aufmerksamkeit. Mein persönliches Highlight dieser Form des Kreativismus lieferte Easyjet. Das Unternehmen hatte in seinem Bord-Magazin Modefotos veröffentlicht, das Models in Designerkleidung vor dem Berliner Mahnmal für die ermordeten Juden im Dritten Reich zeigt. Der weltweite Proteststurm zwnag Easyjet das Magazin einzustampfen und sich öffentlich zu entschuldigen.
Ein frühes Fazit dieses Wahlkampfs
Nun ist es soweit. Heute wird gewählt. Ab 18 Uhr wird wohl niemand mehr über die Kampagnenführung und die Kampagneninhalte reden. Darum hier ein erster Versuch, ein Fazit zu ziehen.
Dieser Wahlkampf fand unter schwierigen Bedingungen statt. Erstmals war von Beginn an klar, dass wir uns dauerhaft im Fünf-Parteien-System bewegen. Das hätte eine komplett neue strategische Aufstellung fast aller Akteure erfordert. Anfangs schien es, als würden zumindest Grüne und CDU dieses versuchen, doch es blieb bei Lockerungsübungen. Am Ende wurden alle denkbaren Dreierbündnisse ausgeschlossen. Allein Zweierkoalitionen werden die nächsten vier Jahre regieren können (wobei die rot-grüne Variante wohl mangels Realismus ausgeschlossen werden kann).
Hinzu kam eine historische Krise, die erste globale tiefgreifende Wirtschaftskrise seit dem zweiten Weltkrieg. Niemand wusste Anfang des Jahres, ja nicht einmal im Frühsommer, wie sich diese Krise im Laufe des Jahres entwickeln würde. Von der anfangs noch vertretenen Hoffnung eines schnellen Aufschwungs (zu Guttenberg sprach vom Ende der Krise im September) bis zum Horrorszenario von mehr als 4 Mio. Arbeitslosen am Tag der Wahl reichten die Annahmen. Nur auf solch dünnem Eis lässt sich kein Wahlkampf planen.
Es sei also eingangs allen Kampagnenplanern und -strategen zugestanden, dass dies die kompliziertesten Ausgangsvoraussetzungen für einen Wahlkampf zumindest seit 1991 waren.
Dennoch darf die Frage gestellt werden, ob das Ergebnis sich allein damit rechtfertigen lässt. Dieser Bundestagswahlkampf war nicht nur langweilig, weil ihm bis kurz vor Ende der Konflikt fehlte, sondern er war auch handwerklich, kommunikativ schwach. Zwei Kampagnen konnten wenigstens strategisch noch auffallen: Die CDU hatte die wichtigste Lektion der Obama Kampagne gelernt. „Stay on message“. Das erfordert erstens eine Message („Wir haben die Kraft“ – meint die CDU hat Angela Merkel und die CDU hat den Mut das Notwendige zu tun). Und zweitens erfordert es die konsequente Deklination dieser Botschaft in alle Kommunikation in der Kampagne. Auch hier konnte die CDU überzeugen. Allein ausgerechnet im TV-Duell war es Angela Merkel selbst, die die zentrale Message vergaß und stets daran vorbei lief.
Ebenfalls sehr konsequent war die Kampagne der Partei Die Linke. Drei Themen dominierten den Wahlkampf („Raus aus Afghanistan“, „Nein zur Rente mit 67“, „Nein zu Hartz IV“) und wurden bis hin zur Selbstparodie („Reichtum für alle“ und „Reichtum besteuern“) durchgetragen.
Ganz anders FDP, Grüne und SPD. Während die FDP einen absolut unauffälligen Wahlkampf machte (Kann sich jemand an die Botschaft erinnern?) und schwer lesbare Plakate aufhing, profitierte sie natürlich von der Rolle die einzige Konkurrenz zur Union im bürgerlichen Lager zu sein. Und die Union war gefangen in der ungeliebten Großen Koalition. Daneben die Grünen. Einprägsame Plakatoptik. Immer wieder Variationen der Aussage, wieso Grün gegen die Krise hilft. Aber dennoch stellte sich kein Bild der Kampagne ein. Insbesondere fehlte bis zum Schluss die funktionale Begründung einer Grünwahl. Es steht zu befürchten, dass der starke Schlussspurt der SPD die Grünen noch auf Platz 5 verweisen wird, denn die Grünen konnten, ihre Wechselwähler nicht ausreichend binden. Nachdem in Hamburg zu einer schwarz-grünen Regierungsbildung kam, hätte die Parteiführung dieses entweder als Chance zur Öffnung ins bürgerliche Lager verstehen müssen oder aber diese Variante explizit ausschließen müssen. Im letzteren Fall hätte dies aber bedeutet, sich zur rot-rot-grün Option auch machtpolitisch zu verhalten. So schien es immer als seien die Grünen im Prinzip draußen.
Damit sind wir beim Wahlkampf der SPD. 1998, 2002 und 2005 hatte die SPD das inoffizielle Wettrennen um den besten Wahlkampf gewonnen. Teilweise mit großem Vorsprung. Umso mehr überraschte die schwache Performance der Kampagne. Es gab keine klare Message. Anfangs sollten mit Wirtschaftskompetenz und Deutschlandplan, 4 Mio. Job geschaffen werden. Dann hieß das Thema Finanzmarktregulierung und Begrenzung der Banker-Boni. Am Ende setzte sich dann doch die Erkenntnis durch, dass der Wahlmapf für die SPD in der Gerechtigkeitsfrage entschieden wird. Und dass die Menschen nach dieser Krise, die Frage wer die Zeche hierfür zahle, Steuerpolitik als Gerechtigkeitsthema verstanden haben. Ein altmodischer visueller Auftritt und eine regelrechte Kapitulation vor der Kritik der eigenen Onliner und der Piraten im Internet taten ihr übriges. Am Ende hatte jedes Instrument seine eigenen Botschaften. Allein der Kandidat hielt diese Kampagne zusammen. So blieb diesem gar nichts anderes übrig als selbst im TV-Duell die Wende zum Besseren einzuleiten.
Was bleibt? Das wird man sicherlich erst im Lichte der Ergebnisse sehen können. Dennoch zeigt dieser Wahlkampf bereits heute, Verschiebungen sind möglich. Ein engagierter Spitzenkandidat der SPD, der Streit in der Union (CSU versus CDU im Steuerthema), strategisch unzweideutige Nutzung der Stellung der FDP im bürgerlichen Lager, Mobilisierungswahlkampf der Linkspartei. Das alles hat nochmals Bewegung in die über Monate unveränderte Landschaft der Umfragen gebracht. Es zeigt aber auch, dass man die Rolle der werblichen und der Online Kampagnen aber auch bei weitem nicht überbewerten darf. Online dürften einige hunderttausend Wählerstimmen zu gewinnen sein. Das sind vielleicht 1 bis 1,5 Prozent. Das kann zwar wahlentscheidend sein (wenn bspw. die Stimmen der Piratenpartei bei SPD und Grünen fehlen), steht aber gemessen an der Zahl der Wähler einer Volkspartei doch nicht im Zentrum des Wahlkampfes.
Damit sind wir bei der eigenen Branche, den Kampagnenmachern, angelangt. Viele Werber fühlten sich in den letzten Wochen berufen, die Kampagnen alle in Grund und Boden zu kritisieren. Ja, eine strategisch gut angelegte und spannend ausgestaltete Kampagne kann natürlich etwas bewegen. Aber wichtiger bleibt der Umstand, dass die Kampagne sich der zentralen Inhalte annimmt, die die Menschen bewegen und diese stringent aus Sicht der jeweiligen Partei durchdekliniert.