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Neu Denken verlangt Mut, die alten Bahnen zu verlassen

Dieser Tage entbrannte eine öffentliche Diskussion über die künftige Wahlkampfstrategie der SPD. Auslöser waren sechs Thesen zum Wahlkampf, die als sechs „Wege“ aus der Krise bezeichnet wurden und in der Überschrift „Wahlkampf Neu Denken“ verlangten. Was dann folgte waren fünf Binsenweisheiten und nur eine wirklich spitze, neue These: Die SPD müsse lernen zu demobilisieren. Diese These provoziert zurecht den Meinungsstreit. Die Mobilisierungsprobleme der SPD haben sich ja nicht nur in Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen gezeigt – daraus aber eine Demobilisierung der Wählerinnen und Wähler als strategische Perspektive abzuleiten hat wirklich Chuzpe. Mit anderen Worten: Wenn die SPD bitte schön schon komplett demobilisiert ist, dann soll sie den Wahlkampf auch gleich so gestalten, dass möglichst niemand mehr zur Urne geht.

Wie das in Zeiten emotionaler Polarisierung und populistischer Zuspitzungen gelingen soll, bleibt offen. Mehr noch: Der Wahlkampf der SPD in Baden-Württemberg, Thüringen oder Sachsen-Anhalt war nicht mobilisierend oder polarisierend. Er hatte nichts emotionales und konnte offenkundig die eigenen Wähler nicht binden. Also beste Voraussetzungen für einen demobilisierenden Wahlkampf. Der Umstand, dass die Wahlbeteiligung am 13. März dennoch rasant in die Höhe schnellte, demonstriert doch, dass solch eine Wahlkampfkampagne so wenig Relevanz entfaltet, dass sie keinerlei Einfluss auf den Mobilisierungsgrad der Wähler hat.

Es lohnt sich also ein deutlich analytischerer Blick auf die aktuellen Entwicklungen. Das ist nicht nur ein Thema der SPD, denn alle Parteien müssen mit der aktuell extrem hohen Volatilität im Wählermarkt umgehen:

  1. Die SPD muss erkennen, dass es kein verbrieftes Anrecht darauf gibt, als Volkspartei verstanden zu werden. Die SPD wird immer häufiger von den Wählern als Funktionalpartei eingeordnet. Was bedeutet das? Die Zahl der Wähler, die quasi automatisch der SPD ihre Stimmen geben, schwindet drastisch. Dem kann die SPD immer dann entgegentreten, wenn sie die Frage nach der eigenen funktionalen Rolle beantworten kann. Dort wo das gelang, wurde sie auch deutlich stärker gewählt. Dort wo sie nicht einmal als Mehrheitsbeschaffer für andere unverzichtbar war, bricht die Wählerunterstützung weg.
  2. Die SPD hat offenbar nur noch ein starkes Pfand, um Wahlen am Ende zu gewinnen: Glaubwürdiges, empathisches Personal. Dort wo dieses Personal an der Spitze vorhanden ist und bestenfalls bereits regiert, kann die SPD gute Ergebnisse erzielen. Dieses gilt nicht nur im Vergleich der Landtagswahlen im März, sondern auch die Kommunalwahlen in Hessen legen diese Betrachtung nahe. Das ist gut dort, wo die SPD solche Personen noch hat. Das stellt sie aber dort vor eine Herkulesaufgabe, wo das Vertrauen in die Partei beim Wähler nicht durch einen Landesvater oder eine Oberbürgermeisterin hergestellt werden kann.
  3. Die SPD hat das heterogenste Wählerklientel aller Parteien. Sie muss damit strategisch umgehen lernen. Das Setzen auf große Kampagnen und mediale Hypes funktioniert nicht mehr. Je heterogener Wählerklientel sind, desto kleinteiliger und direkter muss die Ansprache erfolgen. Die Wiederentdeckung des Haustürwahlkampfs 2012/13 hat es vorgemacht. Wo immer der Haustürwahlkampf ins Rollen kam, konnte die SPD deutliche Zugewinne verzeichnen. Und aktuell: Wie soll denn eine aussagekräftige, emotional ansprechende Botschaft beim Thema Flüchtlinge für alle Wähler aussehen? Die einen sind ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe aktiv und wollen etwas für diese Menschen tun. Gleichzeitig gibt es die anderen, die diese Form der Zuwanderung ängstigt und verunsichert. Darum muss die SPD lernen nicht in tollen kreativen Kampagnen zu denken, sondern ein differenziertes Ansprachemanagement aufzubauen.
  4. Im Übrigen: Eine Volkspartei besitzt im besten Sinne in der eigenen Mitgliedschaft viele wichtige Kommunikatoren für ein solches Ansprachemanagement. Es muss aber gelingen, diese zu mobilisieren. Die SPD hat immer nur dann gute Ergebnisse vorweisen können, wenn diese Binnenmobilisierung gelang. Wer sich die Mobilisierungsunterschiede zwischen Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg anschaut, kann auch hierin einen Grund für die enorm unterschiedliche Entwicklung in der Wählergewinnung erkennen. Ein Demobilisierungswahlkampf wird also die SPD zuerst treffen. Die SPD hat bundesweit zwischen 1998 und 2009 umgerechnet täglich 2.500 Wähler verloren. Wenigstens einen Teil davon zurückzugewinnen, wird ein mehrjährige Kärrnerarbeit werden.
  5. In diesem Zuge muss ein kritischer Blick auf den Umgang mit den AfD Wählern geworfen werden. Hier sind grundlegende Fehler gemacht worden. Sowohl anbiedernde Äußerungen, die nahelegen die Kritik der AfD/Pegida sei berechtigt, als auch die Beschimpfung („Pack“) und Ausgrenzung haben nur einen Effekt: Es schweißt Wähler und Funktionäre der AfD zusammen. Mit der Niederlage der wählerfernen Besserwisser Lucke und Henkel in der AfD war absehbar, dass die AfD anders als die Piratenpartei kein kurzfristiges, sondern eher ein mittelfristiges Phänomen sein wird. Ein differenzierter Blick in die AfD zeigt, dass es rechtskonservative Demokraten wie Gauland und Meuthen ebenso wie rechtsextreme, völkische Funktionäre wie Höcke und Poggenburg gibt. Richtig wäre es, genau diesen Unterschied auch deutlich zu machen und erstere immer wieder zur Distanzierung von zweiteren aufzufordern, ansonsten aber mit ersteren in den streitbaren, kritischen demokratischen Diskurs zu treten. Nur dann wird man diese Wähler zurückgewinnen.
  6. Was aber muss man diesen Wählern anbieten, um sie zurückgewinnen zu können? Eine Frage, die für alle Parteien der Mitte gleichermaßen gilt. Die AfD ist Ausdruck einer kompletten Verunsicherung und Überforderung in vielen Milieus. Nach zahlreichen Reformen, Globalisierung, Standortwettbewerb, Gleichstellungsdiskussionen, Bildungsdebatten, Digitalisierungsschüben, immer schnelleren Transformationsprozessen in Unternehmen usw. hat sich das Leben der Menschen in den letzten 10 bis 15 Jahren massiv verändert. Alle Gewissheiten gingen verloren. Neue Gewissheiten fehlen. Die Veränderungen erfolgen, aber ohne die Menschen mitzunehmen, ihnen zu erklären, was warum mit welchem Ziel passiert. Und das in einer Sprache, die so einfach ist, wie die von Donald Trump – der ja neuesten Analysen zufolge seine Erfolge auch darauf aufbauen kann, dass gerade seine einfachen Bilder und Hierarchien und ein beschränkter, einfacher Wortschatz für politikferne Mittelschichten Wirkung erzielt, weil diese Wähler erstmals Politik wieder verstehen.
    Die Grundbotschaft muss dabei lauten: Politik kann Sicherheit im Wandel organisieren. Sie muss es sogar tun. Dabei geht es nicht um Sozialpolitik, sondern durchaus auch um Gewissheiten beim Meistern eines immer komplexeren Alltags bspw. durch umfassende Betreuungsangebote. Und es geht um eine Verbindung von öffentlicher, privater und sozialer Sicherheit – nicht erst seit der Silvesternacht 2015/16.
  7. Was bleibt als Fazit? Ganz einfach: Von Platzeck lernen! 2004 hat er in Brandenburg einen mutigen Wahlkampf geführt. Auf dem Höhepunkt der Hartz IV Konflikte, hat er sich nicht versteckt, sondern ist dorthin gegangen, wo die Menschen waren, wo sich ihre Wut, ihre Ängste, ihre Enttäuschung artikulierte und hat ihnen zugehört, ihnen die Politik erklärt und dann auch für den eigenen Kurs geworben. Er hat sich nicht von der Agenda 2010 distanziert, sondern den Kurs des Bundeskanzlers verteidigt. Aber er hat den ganzen Frust der Menschen ausgehalten, Haltung gezeigt und geredet.
  8. Haltung ist wichtiger als Effekthascherei. Es geht nicht darum, dass Kandidaten sich inszenieren und durch alberne Motive Wort halten („Ude hält Wort„), sondern eine Haltung an den Tag legen, die dieses schlicht und einfach tut. Politik handelt vom Leben der Menschen – und das ist in diesen Tagen etwas ernstes.

Aber noch etwas zeigen diese letzten Wahlen: Frank Stauss (Geschäftsführer der für die SPD Rheinland-Pfalz arbeitenden Agentur Butter) hat seit anderthalb Jahren für die Kampagne der Rheinland-Pfalz SPD gekämpft und geworben. Er hat richtigerweise erkannt, wie wichtig Haltung und glaubwürdige Spitzenkandidatin sind. Er hat diesen Kurs gehalten und offenbar dabei auch Malu Dreyers Vertrauen gewinnen können. Der Wind kam von vorne, als einige in der Bundes-SPD seine Thesen nicht hören wollten und auf die drohende Niederlage verwiesen. In Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen dagegen ist das Experiment einer inhouse Beratung der SPD gescheitert.

Kurzum: Unabhängigkeit in der Beratung ist ein elementarer Mehrwert für jeden Kunden, auch in der Politik.

 

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