Wesentlichkeit erfordert Stakeholderdialog – Wieso GRI G4 nicht nur das CSR-Reporting betrifft
Am 22. Mai 2013 wurde in Amsterdam die neue G4-Richtlinie auf der Konferenz der Global Reporting Initiative (GRI) vorgestellt, die künftig das CSR-Reporting bestimmen wird.
Was sind die drei wichtigsten Eckpunkte? Bereits die Diskussionen bei der GRI-Konferenz machten deutlich: erstens ist das Thema Wesentlichkeit Dreh- und Angelpunkt für G4. Dies ist keine Revolution per se, da Wesentlichkeitsanalysen bereits bei G3 gewünscht und von vielen Unternehmen durchgeführt wurden. Neu ist jedoch die Qualität, die dem Thema nun beigemessen wird. So muss der Prozess der Wesentlichkeitsbestimmung von allen Unternehmen transparent dargelegt werden und die Basis für die Berichtsinhalte bilden. Zum Zweiten werden die Anwendungsebenen aufgelöst und durch die Stufen „Core“ und „Comprehensive“ ersetzt. Diese unterscheiden sich im Umfang der Offenlegung, unterliegen aber beide dem Gedanken der Wesentlichkeit. Der letzte Punkt ist eine Stärkung bestimmter Nachhaltigkeitsthemen, insbesondere von Ethik und Governance, Korruption, Lieferkette sowie GHG-Emissionen.
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SPD-Abgeordnete preschen vor
Unter dem Titel „Demokratie erneuern, Demokratie leben“ haben über 14 Bundestagsabgeordnete der SPD eine recht kunter bunte Sammlung an Überlegungen zur Steigerung der Akzeptanz unserer parlamentatischen Demokratie zusammengestellt. Zwischen Ideen zur politischen Bildung, der Schaffung eines Parlamentsfernsehens und Appellen an die Kollegen, doch nicht immer über die gute alte Zeit zu schwadronnieren, finden sich auch einige Vorschläge mit Brisanz.
Letztlich laufen die Forderungen dieser Abgeordneten auf die vollständige Trennung der Sphäre „Interessenvertretung“ und der Sphäre „Interessenabwägung“ hinaus. Also quasi zwischen Lobbyisten und Abgeordneten. Dieses transparent zu trennen ist zwingend, denn nur dann kann das Primat der Politik durchgesetzt werden. Damit liefern die Abgeordneten einen konkreten Vorschlag, wie auch der Bundestag selbst einen Beitrag zu mehr Transparenz liefern kann, ohne sich auf der Schaffung eines Lobbyregisters auszuruhen. Die Konsequenzen wären für einige Abgeordnete jedoch gravierend: Das Verbot aller Nebentätigkeiten träfe insbesondere Rechtsanwälte im Deutschen Bundestag, die keine Mandate mehr neben ihrem Bundestagsmandat wahrnehmen dürften. Ähnliches gilt für die geforderte Karenzzeit: sie würde es ehemaligen Mitgliedern der Bundesregierung verbieten innerhalb der ersten Jahre nach ihrem Ausscheiden, in die Privatwirtschaft zu gehen. Allerdings ohne genauer zu spezifizieren, ob geheimnisrelevantes Spezialwissen verkauft wird oder der Betreffende einfach nur in die Wirtschaft ohne Bezugnahme auf frühere Tätigkeiten wechselt.
Das Lobbyregister. Es kommt.
Treffer und versenkt. Manchmal gelingt ja jemandem eine verbale Punktlandung. Dieses Lob gehört aktuell dem Chefredakteur von Politik und Kommunikation Sebastian Lange, der in seiner aktuellen Kolumne feststellt: „Das Lobbyregister wird kommen“
Es ist eine treffende Bewertung der gegenwärtigen Diskussion. Stein des Anstosses in dieser Diskussion ist ein Beitrag im PR-Report, in dem der „Public Affairs“-Arbeitskreis der DPRG ein lediglich freiwilliges Lobbyregister fordert. Man kann sich nun trefflich streiten, warum die DPRG diesen Vorstoß unternommen hat. Empfinden etwa gerade die in der DPRG versammelten Einzelberater Transparenz als besonders bedrohlich für das eigene Geschäftsmodell? Weiß der DPRG Arbeitskreis „Public Affairs“ sich nicht anders gegen die allpräsente degepol zu profilieren? Aber es bleiben wüste Spekulationen über die Beweggründe der DPRG.
Die Argumente sind nicht neu: Ein Pflichtregister sei eine unbillige Regulation. Die Lobbyisten dürften sich nicht von der gesellschaftlichen Forderung nach Transparenz und Offenheit behindern lassen. Überhaupt ein Register sei eigentlich nicht erforderlich, habe jeder doch seine Herkunft auf der Visitenkarte stehen.
Alles in allem also altbekannte Argumente. Letztlich verweigert sich die DPRG damit einer zukunftsfähigen Debatte über die Zukunft der Interessenvertretung im Parlamentarismus:
- Wieviel Transparenz brauchen Demokratie und Parlamentarismus?
- Wie kann in einem transparenten Umfeld die oftmals erforderliche Vertraulichkeit sichergestellt werden?
- Wo sind also Grenzen der Transparenz?
- Wie muss Parlamentarismus organisiert sein, um über Interessen frei entscheiden zu können?
Alles wichtige Fragen, die aber erfordern, sich der Diskussion um Transparenz zu stellen. Sebastian Lange entwaffnet die Diskussion der DPRG frappierend: Der Trend der Zeit steht auf Transparenz. Insofern werde spätestens mit dem nächsten Regierungswechsel ein Lobbygesetz kommen. Die Branche hat nun die Wahl zwischen konstruktiver Mitgestaltung oder Verweigerung. Es bleibt zu hoffen, dass die DPRG sich hier den Weg zur konstruktiven Mitgestaltung doch noch findet.
Denn wie schnell sich das Klima für eine schlecht reputierte Branche ändern kann und wie schnell auch eine bürgerliche Regierung dann alle Unterstützung vergisst – davon kann die Energiebranche seit Fukushima ein Lied singen.
Warum zu Guttenberg im Amt bleiben muss
Der eine sieht „Guttenberg vor Scherbenhaufen„. Die anderen wähnen ihn als Opfer einer Kampagne und rufen zur Solidarität auf. Die grüne Bundestagsfraktion hat eine Blogsite mit überwiegend schlechten zu Guttenberg-Witzen eingerichtet. Die Tagesschau Online Redaktion merkt süffizant an, dass zu Guttenbergs Großvater Karl Theodor zu Guttenberg (der ohne Bindestrich) sein Buch 1973 unter dem Titel „Fußnoten“ publiziert hat (übrigens bei Amazon.de zur Zeit nur noch gebraucht erwerblich). Handelsblatt.com sah sich sogar genötigt einen kritischen Kommentar wieder offline zu nehmen. Bildblog.de hat den Kommentar von Rüdiger Scheides allerdings vor dem Vergessen bewahrt.
Während also die journalistischen und politischen Beobachter im Raumschiff Berlin aus einer Doktorarbeit eine Staatsaffäre machen, geraten andere Fragen fast in den Hintergrund: Hartz IV-Reform immer noch nicht durch den Vermittlungsausschuss? Drei tote Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan? Niedergeschossene Demokratie-Bewegung in Libyen und Bahrein, in Jemen und und und. Alles nichts.
Ist das nun also das Ende der Ära zu Guttenberg? Ist die Lichtgestalt verblüht? Wenn man den Umfragen Glauben schenken darf, sieht nur eine Minderheit des Wahlvolks ein Problem. Abschreiben? Wer hat das nicht gemacht in der Schule? – Plagiat? Was ist das?
Ja, zu Guttenberg hat ein Problem: Er darf nicht zurücktreten. Die forsche Lichtgestalt KTG würde genau das tun, um den eigenen Ruf zu wahren. Ein Minister, der ständig über seine Promotion, statt über seine Arbeit reden muss. Ein Minister, der nur scheibchenweise die Wahrheit einräumen kann, weil er sie vermutlich selbst nicht mehr kennt. Ein Minister, der mitten in der Krise die Bundespressekonferenz brüskiert. Zu Guttenberg wird wissen, dass seine taffen Worte künftig doppelt und dreifach auf ihre Glaubwürdigkeit hinterfragt werden.
Aber Rücktritt? Seehofer, Merkel und der Koalitionspartner FDP haben weder ein Interesse daran, in mitten schwieriger Diskussionen um die Bundeswehr den Minister von Bord gehen zu lassen, noch wollen sie einen durch Rücktritt zu Ikone werdenden Politiker KTG im Nacken spüren. Darum werden sie zu Guttenberg auch nicht von Bord gehen lassen.
P.S.: Was macht eigentlich die Universität Bayreuth? Die haben doch eine veritable Glaubwürdigkeitskrise: GuttenPlag weist aktuell 267 von 405 Seiten mit fehlerhaften Zitaten aus. Das wären 68% der Seiten der Doktorarbeit mit zumindest einer Fundstellen. Ganze zehn Seiten der Arbeit sollen sogar fast wortgleich einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags entstammen. Wenn die Universität nicht in den Ruf kommen will, prominente Doktoranden anders zu behandeln als andere, bleibt ihr fast nur noch der Entzug des Doktortitels oder die erhebliche Abwertung der Guttenbergschen Doktorarbeit. Damit allerdings sind sie ein Damoklesschwert über Minister und CSU, denn die setzen gerade auf den Faktor Zeit und Vergessen – eine Entscheidung in Bayreuth ist erst in einigen Wochen, wenn nicht gar Monaten zu erwarten, solange lässt sich die Aufregung um eine Doktorarbeit nicht auf Seite eins der Tageszeitungen halten.
P.P.S.: Wirklich erfrischend ist übrigens der Kommentar von Thomas Stadler (Internet-Law), in dem er deutlich macht, wie gering in der aktuellen Debatte Urheberrecht und Intellectual Property Rights geschätzt werden. Denn das massenhafte „Vergessen“ einer Fußnote ist primär nicht eine Frage von Charakterstärke oder Schlampigkeit, sondern von Geringschätzung der Rechteinhaber.
Ist Politik noch planbar? Was sich nach Stuttgart 21 verändert hat.
Von Klaus-Peter Johanssen und Peter Ruhenstroth-Bauer
Nachstehend ein Auszug aus einem Artikel der beiden Autoren im aktuellen Heft des CICERO.
Jahrelange Planungen, zahlreiche Studien und Expertengutachten, internationale Zustimmung, öffentliche Anhörungen und die nötigen Genehmigungen hatten, so dachten die Verantwortlichen, ihrem Vorhaben die nötige Legitimität verschafft. Einer Besetzung durch Umweltschützer, glaubten sie, durch Regierungsunterstützung, gerichtliche Räumungsbeschlüsse, Einsatz von Sicherheitspersonal, Polizei und Wasserwerfern erfolgreich entgegentreten zu können. Und doch mussten sie ihren Plan am Ende aufgeben. Was wie die Kurzfassung von Stuttgart 21 klingt, ist die Geschichte der den Konzernen Shell und Exxon gemeinsam gehörenden Öllagerplattform Brent Spar. Im Verein mit deutschen Medien und deutscher Öffentlichkeit hatte Greenpeace die Versenkung der außer Dienst gestellten Anlage im Nordatlantik verhindert. Und das, obwohl vorher wie nachher nachgewiesen war, dass diese Form der Entsorgung geringere Umweltschäden als andere Entsorgungslösungen verursacht hätte. […]
Eine so emotionalisierte Form öffentlicher Kritik hatte es bis dahin in Deutschland nicht gegeben. […]
Die Parallelen sind offenkundig [zur Situation in Stuttgart]: […] Angefangen mit „Montagsdemonstrationen“ einiger tausend Menschen über originelle, kreative Protestformen wie dem täglichen „Schwabenstreich“, „Bürgerchor“ und „Widerstandsbier“ wurde aus einer Bürgerinitiative eine Protestbewegung. Mittlerweile mobilisiert das Bahnhofsprojekt regelmäßig 50.000 bis 60.000 Demonstranten. Meist sind es „brave“ Schwaben, keine Krawallmacher, sondern Bürger wie der Schauspieler Walter Sittler. […] Die Politik, von dem Protest „kalt erwischt“, reagiert bislang im alten Schema: Beschlossen und verkündet – der Tiefbahnhof wird realisiert. Diese unverrückbar scheinende Haltung, die als ignorante Arroganz der Macht aufgefasst wird, schürt den Widerstand und verstärkt ihn zur Wut. Stark emotionalisiert wurde die Lage durch den polizeilichen Einsatz von Wasserwerfern und Pfefferspray gegen Schulkinder, Frauen und Rentner und die Bilder darüber. […]
Hinzukam die Überzeugung der Politik, mit den vorgeschriebenen Beteiligungen der Öffentlichkeit, der Offenlegung der Planungen, der Behandlung von Einsprüchen bis zu rechtskräftigen Entscheidungen und der Befassung der Parlamente das Projekt rechtsstaatlich abgesichert zu haben. Damit sei das Projekt ausreichend legitimiert. […]
Juristisch betrachtet mögen sie recht haben. Mit diesem Hinweis werden sich die Demonstranten allerdings nicht nach Hause schicken lassen. […] Ungeachtet aller bisherigen Versäumnisse lässt sich die jüngste Entwicklung der Proteste gegen das Projekt freilich nicht mehr allein durch Fehler bei der Information der Bürger und der Kommunikation mit ihnen erklären. […]
Dass Politik so nicht mehr funktioniert, ist eine Binsenweisheit. Aber im Handeln und in der Kommunikation der Politik ist das immer noch nicht angekommen. Langzeitumfragen zeigen, dass die Menschen der politischen Kaste nicht mehr vertrauen. Die Wahlbeteiligungen, ganz gleich auf welcher Ebene, haben einen Tiefpunkt erreicht. Es wird Zeit, dass die Politik erkennt, dass die Uhren heute anders gehen.
Im Protest bei Stuttgart 21 wird daher mehr sichtbar als nur der Widerstand gegen ein Großprojekt. Der Protest ist gleichzeitig Symbol für Politik- und Politikerverdrossenheit der Bürger und mangelnde Bodenhaftung der politischen Entscheidungsträger. Wer sich nicht mehr ernst genommen fühlt, verliert zu Recht Vertrauen. Wem vermittelt wird, er habe keine Ahnung, der fragt nach der Legitimation der Politik. […] Die Attitüde „Information von oben nach unten“ funktioniert nicht mehr. Die Bürger fordern Mitspracherechte und Information auf Augenhöhe. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat in ihrer Antrittsrede als Bundesratspräsidentin formuliert, wie die Politik diese (neuen) Anforderungen erfüllen muss. Es gehe darum „von Anfang an aus Betroffenen wieder Beteiligte“ zu machen. Damit hat sie eine entscheidende Vorbedingung für erfolgreiche Politik formuliert. Information und Beteiligung, das verlangen die Bürgerinnen und Bürger immer lauter.
Dass Projektplanungen auch anders ablaufen können, zeigen zwei Hamburger Großprojekte im Jahr 2007: das eine die Idee einer Living-Bridge, einer an die Ponte Vecchio erinnernden 700 m langen Brücke über die Elbe mit Restaurants, Geschäften und 1.000 Wohnungen, das andere die Frage der baulichen Gestaltung des Domplatzes mitten in der City. In beiden Fällen hatten die Bürger die Möglichkeit, in Online-Foren die Pläne ausgiebig zu diskutieren und eigene Ideen vorzuschlagen. Die Ergebnisse dieser unter einer breiten Beteiligung von Bürgern und Experten sowie einer starken Medienresonanz abgelaufenen Prozesse sind bemerkenswert. Die zunächst als wegweisend bezeichnete Idee der Living-Bridge fand keine Mehrheit und wurde verworfen. Und der Hamburger Domplatz ist nun eine grüne Oase in der Stadtmitte mit den angedeuteten Grundmauern des Doms ganz ohne die ursprünglich vorgesehenen Stahl- und Glasbauten. Positive Beispiele sinnvoller Bürgerbeteiligung statt Bürgerproteste. […] Die Kommunizierbarkeit ist […] der Lackmus-Test in der Projektplanung.
Das bedeutet, dass die Politik zukünftig nicht mehr umhin kommt, sicher zu stellen, dass die Bürgerinnen und Bürger real an dem Projekt beteiligt werden. Das war bei Stuttgart 21 offenbar nicht der Fall. Wer genau hinsieht, stellt nämlich fest, dass die Beteiligung zwar nach allen erforderlichen Regularien, tatsächlich aber nur pro forma abgelaufen ist. Wie anders kann man es verstehen, dass bei den über 10.000 Einsprüchen nur die berücksichtigt wurden, die Änderungen an Einzelheiten des Tiefbahnhofprojektes vorsahen? Alle Einsprüche, die sich gänzlich gegen das Projekt aussprachen oder Alternativen unter Beibehaltung des Kopfbahnhofs vorgeschlagen haben, sind komplett unter den Tisch gefallen.
So werden aus Betroffenen keine Beteiligten, sondern Protestierende, im Fall Stuttgart 21, aber z.B. auch bei Gorleben, gar sog. „Wutprotestanten“. Die Folge dieses Kommunikationsversagens ist fatal: Denn nun spielt es keine Rolle mehr, ob der Protest gerechtfertigt ist oder nicht, die Protestierer mit ihrem Protest recht haben oder nicht. […] Kommunikation ist in diesem Stadium überfordert, die Basis für ein Agieren „nach Plan“ zu ermöglichen. Folgerichtig ist das Stuttgarter Schlichtungsverfahren trotz aller gut gemeinten Informationen via Internet und TV eine reine Schaufensterveranstaltung und Bühne der beteiligten Befürworter und Gegner. Dadurch jedenfalls wird der Konflikt nicht gelöst werden. Protest und Demonstrationen werden nicht nachlassen. Handlungsfreiheit wird daher nur gewonnen, wenn Lösungen gefunden werden, die am Ende dem Widerstand gegen das Projekt nachgeben. […]
Wenn „Politik planbar“ sein soll, müssen Partizipation und Information künftig Standard für solche Projekte von Politik und Wirtschaft werden. […]
In großen und zunehmend wohl auch kleinen Projekten bedeutet das für beide Seiten – Politik wie auch Bürgerinnen und Bürger – einen Gewöhnungsprozess. Der Bürgerfrust über „die da oben“ muss in echte und aktive Beteiligung umgelenkt werden. Auf der Suche nach Akzeptanz und einem Mehr an Legitimation muss die Politik dies ermöglichen und gleichzeitig das Bewusstsein schaffen, dass man sich auf Augenhöhe begegnet. Es mag sein, dass das eine oder andere Politik- oder Wirtschaftsprojekte dadurch nicht so umgesetzt werden kann, wie man sich das ursprünglich gedacht hatte. Aber mit der Bürgerbeteiligung hat man die Legitimation für seine Projekte und damit den notwendigen Handlungsspielraum sichergestellt. Das schafft nicht nur Akzeptanz, sondern macht Politik tatsächlich planbar.
Über die Autoren: Klaus-Peter Johanssen ist Kommunikationsberater und Mitgründer der Berliner Kommunikationsagentur Johanssen + Kretschmer. Bis 1998 war er Kommunikationschef der Shell in Deutschland. Peter Ruhenstroth-Bauer war Stellvertretender Chef des Bundespresseamtes und Staatssekretär bis 2005. Heute ist er Kommunikationsberater und Lehrbeauftragter für Regierungskommunikation (an der Universität Potsdam).Die Deklaration 21 und die Wirtschaftskrise
“Gefordert sind mehr Mut, markante Meinung und Klarheit von allen Akteuren aus Wirtschaft und Politik”, so heißt es in der sechsten These der Deklaration 21. Den Grund dafür können wir der dritten These entnehmen: “Prägen kann nur, wer sich eindeutig positioniert und profiliert.” Man wundert sich, wieso die Autoren nicht auch noch die Überwindung der aktuellen Wirtschaftskrise, mehr Mut zu Werten und weniger Verzagtheit beim Klimaschutz gefordert haben.
Denn entweder sagen uns diese Thesen nichts Neues, da man noch nie ohne Profilierung ein Profil entwickeln konnte (Keine der großen starken, Marken wie Coca Cola, Apple oder Adidas ist ohne Profilbildung zur Marke geworden). Oder aber diese Thesen zeugen von grenzenlosem Idealismus.
Nichts gegen Idealismus, aber hat nicht gerade erst die CDU in einem strategisch äußerst geschickten Bundestagswahlkampf deutlich gemacht, dass man auch ohne Profilierung und Positionierung Wahlen gewinnen kann? Sind Profilierung und Positionierung wirklich das, was die Öffentlichkeit, die Wähler, die Kunden wollen? Ist es nicht so, dass gerade polarisierende Positionen in den letzten Jahren mehr und mehr von den Medien und in der Folge von der Öffentlichkeit abgestraft wurden? Hat nicht gerade der Kostendruck in Verlagen und Sendern die Skandalisierung von polarisierenden Profilen hervorgerufen? Muss nicht gerade Guido Westerwelle erfahren, was Die Kehrseite der Polarisierung ist? Als erster Außenminister in der deutschen Geschichte taucht er nicht auf den vorderen Plätzen der einschlägigen Beliebtheits- oder Akzeptanzrankings auf (ZDF-Politbarometer).
Um was also geht es wirklich? In These 1 behauptet die Deklaration 21: “Von den Massenmedien zu den Medienmassen: Wahrnehmung und Relevanz leiden unter der Unübersichtlichkeit von Auftritten und Bühnen.” Und genau hier liegt meines Erachtens der Denkfehler. Denn der epochale Umbruch für die PR besteht nicht in der Vielzahl der Medien, der neuen Kommunikationskanäle oder neu entstehender Absender – kurz neuer Unübersichtlichkeit. Dann hätte diese Herausforderung bereits mit der Einführung des Privat- oder des Satellitenfernsehens, spätestens aber mit dem Durchbruch des Internets bestanden.
Nein, der epochale Umbruch besteht darin, dass der bisher weitgehend passive Rezipient selbst zum Akteur wird. Er filtert und empfiehlt, er diskutiert und bewertet Inhalte. Richtig muss es in These 1 daher heißen: “Es findet keine Wahrnehmung, wer Inhalte ohne Relevanz für die spezifischen Stakeholder aussendet.”
Nichts Neues seit Cluetrain Manifesto?!
1999 formulierten Rick Levine, Christopher Locke, Doc Searls und David Weinberger das Cluetrain-Manifest. 95 Thesen über das Verhältnis von Unternehmen und ihren Kunden im Zeitalter des Internets und der New Economy. Elf Jahre später scheinen die zentralen Thesen auch in der deutschen PR-Branche verarbeitet worden zu sein. FischerAppelt veröffentlichten jüngst in 21 Thesen ihrer Deklaration 21 einen Aufguss des Cluetrain Manifest.
These 2 der Deklaration 21 besagt: „Es fehlt an Orientierung und Überblick, weil alle nur reden, schreiben und immer weniger Meinung, Unterschiede und Widerspruch wagen.“ Diese Aussage nehme ich dann mal zum Anlass, deutlichen Widerspruch zu formulieren. Ohne dabei vorweg den Dank für die angestoßene Diskussion zu vergessen. Aber 11 Jahre nach dem Cluetrain Mainfest muss die Kommunikationsbranche schon mehr zu sagen haben, als damals formuliert wurde. Andernfalls wäre nicht nur viel Zeit vertan worden, denn These 95 des Cluetrain Manifesto stellt schon damals fest: „We are waking up and linking each other. We are watching. But we are not waiting.“
Auf den ersten Blick wirkt die Deklaration 21 noch äußerst bedeutungsschwanger, erinnert die doch dank der äußeren Aufmachung an die Zeit im Gymnasium, wenn deutsche Hochliteratur im Deutschunterricht als Reclam-Heft zu Gemüte geführt wurde. Wenn man nach wochenlanger Lektüre und Diskussionen ein Reclam-Heft gelesen und in quälend langen Stunden besprochen hatte, war man zwar froh, am Ende angelangt zu sein. Aber man konnte nie behaupten „irgendwo habe ich das alles schon mal gelesen“.
Die Deklaration 21 erfreut den interessierten Leser aber zumindest durch ausgesprochen abwechslungsreiche Typografien, die immer wieder überraschen. Man ist versucht, einen Zusammenhang zwischen der konkreten Gestaltung und dem konkreten Inhalt zu finden. Das aber würde die Deklaration 21 auf ihre Form reduzieren.
— Fortsetzung folgt —
Vom loyalen Kunden und seiner engagierten Agentur
Vor einigen Tagen formulierte Frank-Michael Schmidt, Scholz & Friends, was er unter einer guten Agentur- Kunden-Beziehung versteht. „Die Basis jeder Partnerschaft ist ein wechselseitiges Commitment. […] Loyalität ist keine Einbahnstraße“, so stellt er in einem Horizont-Interview fest. Nun kann man diese Äußerung abtun, als das Jammern nach einem Krisenjahr. 2009 haben Agenturen erfahren, was Loyalität als Einbahnstraße sein kann:
- Keine Planungssicherheit über eigentlich schon vereinbarte Budgets
- Pitches und Konzepte zum Nulltarif
- Pitches als Brainstorming für Aufgaben ohne Budgets
- Preiskampf und margenfreie Projekte
- usw.
Richtig: 2009 lief für viele Unternehmen nicht schlecht. 2009 war ein Jahr der Marktbereinigung. Qualitätsführende und wettbewerbsfähige Agenturen konnten sich halten, andere mussten gravierende Umsatzrückgänge hinnehmen. Mancher verschwand vom Markt. Also, alles nur ein Sturm im Wasserglas, weil normal in der Marktwirtschaft?
Genau hier setzt die Diskussion um Nachhaltigkeit unseres Wirtschaftsmodells an. Frank-Michael Schmidt hat Recht, wenn er von der „Verantwortungsgemeinschaft“ spricht. Es geht um nichts anderes als ein nachhaltiges Modell der Supply Chain. Wer seine Lieferanten und Dienstleister nicht als faire Businesspartner behandelt, der muss mit den Konsequenzen leben:
- Zuerst schwindet die Qualität. Hohe Mitarbeiterfluktuation und Produktionsdruck (gerne auch als Billability bezeichnet) lassen Prozess- und Ergebnisqualität schwanken und schließlich abfallen.
- Die Innovationskraft der Agenturen nimmt ab, neue Trends, Veränderungen in der Kommunikationslandschaft lassen sich nicht mehr so schnell in Beratungsangebote überführen, weil der Freiraum zum Nachdenken fehlt.
- Einzelne Agenturen überleben diese Situation nicht dauerhaft, Agenturenwechsel werden erforderlich.
- Immer weniger Agenturen können sich die Teilnahme an Pitches und Wettbewerbsausschreibungen finanziell erlauben. Ergo: Der Wettbewerb nimmt ab. Die Auswahl wird geringer.
Wer denkt da nicht an Ignacio Lopez zurück. Der Automobil-Manager schaffte es einst, den Lieferanten der Automobil-Industrie einen derartigen Kostendruck aufzuerlegen, dass es reihenweise zu Konkursen und Fusionen kam. Am Ende überlebten in einzelnen Segmenten oft nur ein bis drei Anbieter – und auf einmal waren die Lieferanten die Mächtigen. Das steht im Kommunikationsmarkt nicht zu erwarten, denn eine neue Agentur lässt sich schnell und ohne großes Investment gründen. Das Beispiel zeigt aber, wie kurzsichtig derartiges Verhalten aus Sicht des Auftraggebers sein kann.
Aber es muss auch umgekehrt gelten: Wer nachhaltig mit seinen Dienstleistern umgeht, der darf auch eine nachhaltige Beratung erwarten. Nachhaltige Beratung heißt dem eigenen Kunden keine kurzfristigen Erfolge verkaufen, sondern ihn nachhaltig positionieren. Nachhaltige Beratung heißt dem Kunden auch eine kontraproduktive Idee auszureden, selbst wenn sich damit Geld verdienen ließe. Nachhaltige Beratung heißt Risiken der Kommunikation zu erkennen und daher davon abzuraten. Nachhaltige Beratung empfiehlt relevante, intelligente Kampagnen, statt marktschreiender Auftritte. Und eines ist klar: Projekt- und Beraterteams, die aus Praktikanten und Volontäre bestehen, können diese Form der nachhaltigen Beratung nicht leisten.
Darum ist es so bedauerlich, wenn in einer Studie jüngst nur 14% der befragten Agenturen Ansätze eines systematischen Managements der eigenen Nachhaltigkeit erkennen lassen. Denn erst die Auseinandersetzung mit der Frage, wo das eigene Geschäftsmodell an Grenzen stößt und wie es nachhaltig ausgerichtet werden kann, lässt die erforderlichen Erkenntnisprozesse zu. Nachhaltigkeit fällt nicht vom Himmel, sondern muss immer neu erarbeitet werden.
Forum mortale für die GEZ?
Gastbeitrag: Alexander Lang (J+K)
Erst im Dezember wollte die GEZ Internetnutzer zur Kasse bitten. Die Empörung in der netzaffinen Gemeinde über das Verhalten der Behörde war groß. Nun soll es ein eigenes Forum wieder richten: www.gez-meine-meinung.de. Kritischer Austausch und rege Diskussionen sollen hier über die GEZ und die Rundfunkgebührenpflicht stattfinden. Ein konstruktiver Dialog auf Augenhöhe mit jungen, auch kritischen Internetusern. Tatsächlich findet eine sachliche Diskussion aber kaum statt. Stattdessen gibt es im Forum Kritik und im Netz Hohn. Warum geht der Plan nicht auf? Behördliche Öffnungszeiten und gefühlt 30 Moderatoren, die das Forum konktrollieren reichen als Erklärung nicht aus. Auch nicht die Tatsache, dass ungenehme Äußerungen der Nettiquette zum Opfer fallen. Insgesamt entsteht ein eher hilfloses Bild der Behörde.
Der eigentliche Grund liegt in der erfolgsentscheidenen Frage „Wer spricht im Forum mit wem?“
Grundsätzlich gilt: sind sich in einem Forum alle Teilnehmer einig, ist das schlecht. Wirklich unangenehm wird es, wenn Einigkeit in der Abneigung besteht. Das Forum wird so zur Anklagebank. Statt eines konstruktiven Diskurses entsteht ein sich selbst verstärkender Sturm der Entrüstung, gegen den eine Organisation mit ihren Botschaften nicht mehr durchdringt. Im Idealfall herrscht in einem Forum ein heterogenes Meinungsbild: engagierte Fürsprecher und versierte Kritiker ringen um die besten Argumente. Durch die generische Aufgabe als Gebühreneinzugszentrale hat die GEZ allerdings denkbar schlechte Vorraussetzungen für einen ausgeglichenen Diskurs – sie verfügt über deutlich mehr Kritiker als Fans. Und ihr Verhalten gegenüber den Internetusern hat ihren Stand erschwert. So steht die GEZ mit ihren 5 Mitarbeiter-Blogs und ihren Moderatoren im eigenen Forum recht alleine dar.
Das führt zu einem weiteren entscheidenden Punkt, der Rolle der Organisation selbst. Tritt sie im Forum zurückhaltend auf und stellt lediglich die Bühne für die Debatte, unterstützt sie diese glaubwürdig. Muss sie allerdings selbst agieren, wird es riskant. Denn in diesem Punkt ist die angesprochene Nutzergemeinde besonders empfindlich.
Die GEZ wird mit ihrem Forum ihr Image nicht verbessern können. Ein wenig Dialogbereitschaft und ein paar Mitarbeiter-Blogs reißen keine Mauern ein. Aber ist das alles deshalb ein PR-Disaster? Nein, denn schlechter wird ihr Ruf dadurch auch nicht. Die Kritik wird sich auf längere Sicht totlaufen, die kritische Blogger-Gemeinde sich anderen Themen zuwenden. Am Ende wird das Forum wahrscheinlich ein Datenfriedhof im Netz sein, und damit eine Fehlinvestition – nicht mehr und nicht weniger.
Warum Verantwortung nicht nur individuell sein kann
Der Deutsche Führungskräfteverband (ULA), ein Dachverband für sieben Verbände Leitender Mitarbeiter und Führungskräfte, hat einen Arbeitskreis namens Aktionskreis Leistungsträger. Mitglieder dieses Arbeitskreises sind Bdvb – Bundesverband der Volks- und Betriebswirte, bvhd – Bundesverband der Verwaltungsbeamten des Höheren Dienstes, BVBC – Bundesverband der Bilanzbuchhalter und Controller, DBV – Deutscher Bankangestelltenverband, Marburger Bund, Völklinger Kreis – Bundesverband Schwuler Führungskräfte und der Verband Deutscher Wirtschaftsingenieure. Genau dieser Arbeitskreis hat nun „Zehn Thesen zur Ethik der Wirtschaft“ veröffentlicht.
Der Glocalist verweist süffisiant auf Widersprüche und Unklarheiten im Text: „Die Formulierung „keine Gewinnmaximierung um jeden Preis“ [in These 3] wirft wohl schon in der Formulierung ein interessantes Paradoxon auf und verweist auf eine Grundsatzfrage, nämlich wie Geld in die Wirtschaft kam.“ Viel stärker wird im Text aber das Dilemma der Verantwortungsübernahme in einem Unternehmen deutlich.
Natürlich haben die Autoren recht, dass eine Führungskraft mit ihrem ganzen Handeln Vorbild für ethisches Verhalten sein muss. Führungsverhalten muss Fehlverhalten von Mitarbeitern (z.B. Mobbing) unterbinden und erwünschtes Verhalten belohnen. Führung muss deutlich machen, welches die Entscheidungskriterien in einem Unternehmen sind und dabei unterstreichen, wo Aspekte der Nachhaltigkeit in eine Entscheidung eingeflossen sind. Vertrauen, Integrität, Fairness und Mut sind Führungswerte, die das Thesenpapier nennt. Niemand, der nachhaltiges und damit ethisch verantwortliches Unternehmenshandeln befördern will, würde da je „nein“ dazu sagen.
Aber gleichzeitig verdeutlicht das Papier auch, wie begrenzt das Handeln der einzelnen Führungskraft ist. Denn, was wäre denn, wenn eine Führungskraft im unternehmerischen Wettbewerb auf Wettbewerbsvorteile ihres Arbeitgebers verzichtet? Was wäre mit einem Vorstand, der seinen Shareholdern mitteilt, wir verzichten dieses Jahr auf 5% Ertrag und setzen auf einen langfristigen Return. Vermutlich würden sie alle recht schnell nach einem neuen Job umsehen müssen.
Denn Nachhaltigkeit beginnt dort, wo nicht nur Stilfragen, softe Faktoren, sondern die Frage nach dem unternehmerischen Business Case beginnen. Es geht um die Frage, wie man dauerhaft Geld verdienen will, nicht nur wie es ausgegeben (oft: gespendet) werden soll. In den meisten Unternehmen lassen sich nachhaltige Geschäftsmodelle finden und entwickeln, ohne dass das Unternehmen sein Kerngeschäft aufgeben und seine Kernkompetenzen verlieren muss. Aber fast ebenso oft bedeutet dies die Umstellung von einer kurzfristigen Ertragsbetrachtung in Richtung eines langfristigen, aber nachhaltigen Returns.
Aber welche Shareholder wollen einem Vorstand diese Zeit geben, wenn die durchschnittliche Haltedauer institutioneller Anleger für Unternehmensaktien inzwischen unter 12 Monate gesunken ist. Und spätestens jetzt sollte klar werden, dass persönliche Verantwortung zwar wichtig, aber nicht ausreichend ist. Denn es geht um politische, rechtliche Vorgaben (auch Regulation genannt) und es geht um gleiche Bedingungen in der Kapitalbeschaffung für alle, statt einer Bevorzugung kurzfristiger Anlagen.
Darum: Das Bekenntnis zur Verantwortung einer Führungskraft und zur Verantwortung eines Unternehmens sind das eine. Aber solche Selbstverpflichtungen können nur dann nachhaltig wirken, wenn sie sich mit einem Bekenntnis zum Primat der Politik verbinden. Denn Politik muss der Wirtschaft die Rahmenbedingungen für Nachhaltigkeit vorgeben.